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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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wichen der Sonne aus, die echte Flammen ausspie, und umkreisten einen Planeten nach dem anderen. Gewandt und behende flogen sie an dem kleinen Merkur vorbei und steuerten das Modell der Erde an. Aus einer bestimmten Entfernung, in der seine Dimensionen scheinbar dem Durchmesser der weit entfernten, wirklichen Erde glichen, war es schwer, unseren heimatlichen Planeten von dem gläsernen Globus mit seinen zwanzig Metern Durchmesser, der von innen durch bläuliches Licht erleuchtet wurde, zu unterscheiden. So groß war die Ähnlichkeit. Ich glaubte, die Ausrufe des Staunens und der Bewunderung zu hören, die fast jedesmal beim Anblick dieses einzigartigen Zwillings der Erde im Raumomnibus ertönten. Ich versuchte, die Modelle des Jupiter und des Saturn zu entdecken; aber sie zogen im Dunkel des Raumes ihre weiten Kreise um die künstliche Sonne. Die Gea schwebte lange über diesem Park im Weltraum. Ich fürchtete schon, sie hätte eine Havarie erlitten; doch dann fiel mir ein, daß unsere Astrogatoren auch einmal Kinder waren.
    Am Morgen des dritten Tages meiner Anwesenheit an Bord der Gea fuhr ich, nachdem ich mich eine Zeitlang in dem leeren Krankenhaus und dem Operationssaal aufgehalten hatte, zum fünften Deck hinauf, das inoffiziell, aber allgemein als „die Stadt“ bezeichnet wird. Sie besteht aus fünf geraden, gleichlaufenden Korridoren, die in zwei große Säle münden. Der Saal, in den ich mit dem Aufzug gelangte, ist halbrund, zwischen Blumenbeeten ragt eine weiße Marmorstatue auf. Das Rund der Wand wird von den Mündungen der fünf Korridore unterbrochen, die breit sind wie richtige Gassen. Jeder Zugang zu diesen Korridoren ist durch eine andere Farbe gekennzeichnet. In der Mitte zieht sich ein schmaler, blumenbepflanzter Grünstreifen hin. Auf die Wände sind imaginäre Häuserfassaden gemalt. Dort, wo das gemalte Haus seine Tür hat, befindet sich auch der wirkliche Eingang zur Wohnung. Ich schritt die Gasse entlang, die durch zitronengelbe Lampen beleuchtet wird. Schließlich langweilte mich diese ziellose Wanderung, und ich wollte bereits umkehren, als ich von weitem die vertraute, untersetzte Gestalt Ter Haars erkannte. Er kam auf mich zu. Wir freuten uns über diese Begegnung und begrüßten einander herzlich.
    „Siehst du dir die Gea an?“ erkundigte er sich. „Sehr schön. Weißt du, wie die Gassen der Städte im Altertum hießen? Ihre Namen hingen meistens mit der Tätigkeit ihrer Bewohner zusammen. Es gab also Töpfer-, Schuhmacher-, Schmiedegassen. Dieser alte Brauch ist hier in neuer Form wiederaufgelebt. Dies ist die Gasse der Physiker. In dem Saal, aus dem du kommst, hast du gewiß bemerkt, daß sie durch verschiedene Farben gekennzeichnet sind. Die grüne ist die Gasse der Biologen, in der roten wohnen die Mechanoeuristen…“
    „Weshalb hat man eigentlich verschiedene Farben gewählt? Das kommt mir so karnevalsmäßig vor.“
    „Um die Orientierung zu erleichtern und das Bild etwas abwechslungsreicher zu gestalten. So wirst du dich in unserer Stadt nicht verirren. Nun mußt du nur noch die Menschen kennenlernen, die hier wohnen. Das ist weit schwieriger.“ Er rieb sich nachdenklich das Kinn.
    „Über was denkst du denn so angestrengt nach?“ fragte ich.
    „Ich überlege, wohin wir zuerst gehen sollen.“ Dann nahm er mich am Arm und zog mich fort. Nach einigen Dutzend Schritten standen wir vor einem Haus mit einem Strohdach, auf dem ein ebenfalls nur gemalter Storch den Kopf verdrehte und uns von oben herab ansah.
    „Hier wohnt Rudelik“, sagte Ter Haar. „Du solltest ihn näher kennenlernen. Es lohnt sich.“
    „Der…?“
    „Ja, der berühmte Atomphysiker. Gestatte…“ Ter Haar öffnete die Tür. Wir befanden uns in einem kleinen Vorraum, gegenüber war eine zweite Tür. Der Historiker ließ mich vorausgehen. Ich betrat den Wohnraum und blieb gleich am Eingang verblüfft stehen. Tiefe Finsternis umgab uns. Mein Begleiter schob mich sanft vorwärts, ich tat noch einen Schritt und stockte wieder, diesmal vor Überraschung.
    Dicht vor mir ragte eine senkrechte Felswand in den sternfunkelnden, pechschwarzen Himmel, die von dem Schwarz der Schatten und dem glühenden Weiß flüssigen Eisens gestreift war. Diese Wand ging in eine sägeförmige, wild zerrissene Kette von Felsgipfeln über, die sich in einem mächtigen Bogen bis an den Horizont erstreckte, wo sehr tief, fast am Rande dieser Steinwüste, die blaue Scheibe der Erde hing. Auf den ersten Blick erkannte ich, daß es

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