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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sich zu spalten, zu zerstäuben und winzige Wellen und Wirbel zu bilden.
    Anna schwieg entmutigt. Der Professor murmelte etwas vor sich hin. Dann räusperte er sich und sagte: „Es genügt.“
    Anna schien es nicht gehört zu haben. Nach einem sekundenlangen, tiefen Schweigen, das vom Rauschen der Verstärker unterstrichen wurde, fragte sie: „Liebst du jemanden?“
    Da – die kreisenden Lichtpunkte zitterten. Aus dem Dunkel erhob sich ein goldleuchtender Geiser, blitzte auf, schoß empor und zerriß die ewig gleichen, in sich geschlossenen Bahnen. Er schien die Wand des gläsernen Gefängnisses sprengen zu wollen. Dann sank das jähe Aufleuchten in sich zusammen, erlosch. Wieder war nur das gespensterhafte Phosphoreszieren kreisender Funken zu sehen.
    Schrey richtete sich mit einem Ruck auf, schaltete den Apparat aus und die Deckenbeleuchtung ein. Von dem starken Licht geblendet, schloß ich kurz die Augen.
    „Na ja…“‚ sagte der Chirurg undeutlich. „Motorische Aphasie… mehrere Zentren sind schwer beschädigt… auch tiefer, der Tractus cortieo-thalamicus… aber der Thalamus ist heil… so sieht es aus…“ Plötzlich trat er auf Anna zu, als hätte er sie erst jetzt bemerkt, legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte: „Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet, Mädel! Wie bist du darauf gekommen?“
    Anna lächelte ratlos. „Ich weiß es nicht! Ich glaubte sogar, daß ich eine Dummheit begangen habe, denn die Nervenbahnen…“
    „Das war keine Dummheit!“ unterbrach er und rüttelte sie leicht an den Schultern. „Gewaltsam gestörte Bahnen, nicht wahr? Es gibt aber mehr und minder beständige Mneme, es gibt Erinnerungen, die man nur zugleich mit dem Menschen vernichten kann! Das hast du sehr gut gemacht. Ich weiß nicht, aber…“
    Er beendete den Satz nicht, wandte sich dem Kranken zu und befreite ihn von dem Helm.
    Pjotr öffnete weit die Augen. Die riesigen Pupillen sahen aus wie zwei verfinsterte Sonnen, die von dem schmalen Saum einer blaugrauen Aureole umgeben sind. Diese Augen starrten gleichgültig durch uns hindurch. „Abulie… die Stirnzentren… das Corpus callosum…“, murmelte Schrey. „Eine häßliche Sache… Aber das macht nichts… Wir werden ihn noch einmal operieren.“
    Die Sporthalle war der Ort, an dem sich die Menschen aus den verschiedensten Arbeitsgruppen und Laboratorien regelmäßig trafen. Ich riet jedem, Leichtathletik zu treiben, und war selbst ein leuchtendes Beispiel, indem ich jeden zweiten Tag zu den Übungen ging. Unser Trainer war Zorin, ein Freund Ametas. Ich habe niemals erfahren, ob er ein Pilot war, der sich mit Mechanoeuristik beschäftigte, oder ein Mechanoeuristiker, der sich für das Pilotieren interessierte. Im Grunde war das ja auch nebensächlich. Wie er selbst erzählte, hatte er sich auf so vielen kosmodromischen Stationen herumgetrieben, daß bei ihm der Rhythmus von Schlafen und Wachsein völlig durcheinandergeraten war. Er konnte zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit arbeiten oder schlafen.
    Zorin war ein ausgezeichneter Leichtathlet. So hatte ich mir eigentlich Ameta vorgestellt, als ich ihn noch nicht kannte. Er führte die schwierigsten Übungen ohne jede ersichtliche Anstrengung aus. Wenn er an das Gerät trat.
    blieb er erst eine Weile stehen, als horchte er in seinen eigenen Körper, um auf ein geheimes Zeichen seiner Bereitschaft zu warten. Dann schwang er sich auf das Reck oder den Barren und führte eine Serie von Riesenfelgen, Waagen und anderen Übungen vor. Er wirbelte durch die Luft, aber jede seiner Bewegungen war äußerst exakt. Manchmal schien er aller Schwerkraft zum Trotz zu erstarren, um dann mit seinem Körper wundervolle, blitzschnelle, aus dem Augenblick geborene Wendungen zu vollbringen. In allen seinen Bewegungen, in der Art, wie er die Hand reichte, in seinem scheinbar schwerfälligen, aber lautlosen Gang lag eine schläfrige Raubtiergrazie, als freue er sich über den Besitz eines so prächtigen Körpers und als müsse er zugleich ständig seine Trägheit überwinden. Wir alle waren begeistert von ihm. Er verstand es, unseren Ehrgeiz wachzurufen. Ich erinnere mich, daß zum Beispiel Ryliant Abend für Abend in die Halle kam, um die Riesenfelge am Reck zu üben. Er quälte sich wochenlang ab, nur um ein anerkennendes Lächeln Zorins zu ernten. Zorin war überdies ein hervorragender Konstrukteur. Seine Kollegen aus dem Kollektiv Tembhara erzählten Wunder über die eigenartige Intuition, mit der er fernliegende

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