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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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gesondert betrachtet. Reglos, die Stirn an die kühle Wand gepreßt, starrte ich stundenlang in die Leere, versenkte meinen Blick in die Abgründe des Unendlichen. Wie ein in den Himmel geschnellter Pfeil schien er in sich zurückzukehren. Unveränderlich verharrten die Schichten tiefsten Dunkels, nur hier und da von dem blassen Licht der Sternnebel durchbrochen. Unter mir war der Abgrund besät von Funken. Diese beiden Gebiete schwärzester Nacht bilden die Ufer der Milchstraße. Bald nahm der Blick nicht nur diese großen Komplexe wahr. Er bahnte sich seinen Weg durch die Bergstürze der Dunkelheit, bohrte sich in ihre Schluchten, in riesige, wie mit ausgeglühter Asche bestreute Bergrücken, in Ozeane der Finsternis, in deren Tiefe phosphoreszierende Ablagerungen glommen. Unter großer Anstrengung drang er durch die Staubschleier zu schattenhaften Gestirnen. Ermüdet und erschöpft, wie ausgelaugt, schien er von dem endlosen Dunkel verschlungen zu werden. Mit Erleichterung ruhte er auf hellen Lichtergruppen des Alls, auf einem Nebelfleck, grell leuchtend wie ein Blitz aus Quecksilber, der für alle Ewigkeit im wahnsinnigen Wirbel des Zerfalls erstarrt ist, und eilte weiter, dorthin, wo zwischen unförmigen, verdämmernden Torsos von Weltsystemen abgründige Risse gähnen, die ein gespenstisches Leuchten ausstrahlen. Mitunter schien sich mein Blick in feste Materie zu verwandeln, als ob in der Tiefe der Augen wägbare Strahlen ihren Ursprung hätten, Wege, die ins All führten, so daß ich die Lider nicht schließen durfte, damit ich meinen Blick nicht in den Labyrinthen der Nacht verlor und ihn verdammte, für immer zwischen eisigen und weißglühenden Wolken in Abgründen zu verweilen, in denen die unendlich alte Zeit lebt, deren Pulsschläge nach Jahrmilliarden zählen. All das – die unermeßlichen Räume, endlos, ohne Boden und Gewölbe, ohne sichtbare, ja ohne vorstellbare Grenzen –, das ist Wirklichkeit, das ist das Weltall, entstanden aus schwarzer Leere und blendenden Wasserstoffflammen.
    Im achten Monat unseres Fluges hatte die Gea ihre Geschwindigkeit auf 100000 Kilometer in der Sekunde gesteigert. Sie durchmaß nun alle vier Sekunden die Entfernung von der Erde zum Mond. Ihr rasender Flug staute die Lichtwellen vor uns und lenkte sie weit hinter dem Heck ab. Sie hatte ein Drittel der höchsten Geschwindigkeit erreicht, die es im Kosmos gibt. Trotzdem verharrten die Lichtpunkte, die unseren Ort im Raum bestimmten, unbeweglich an derselben Stelle. Manchmal glaubte ich, daß es genügte, sich in die furchtbare Gleichgültigkeit des Alls gegenüber unseren Mühen und den Anstrengungen der Maschinen hineinzudenken, die wir geschaffen und als metallene Verlängerung unseres konzentrierten Willens in Bewegung gesetzt hatten, daß es genügte, nur dies eine zu begreifen, um sich zermalmt zu fühlen. Auf die geringsten Verschiebungen der Sternstände, die nur mit Mikroskopen meßbar waren, mußten wir nicht Tage oder Monate, sondern Jahre warten. Wir rasten Tag und Nacht, bei Arbeit und Erholung, im Schlaf, bei der Unterhaltung, in Stunden der Liebe ohne Unterbrechung dahin. Die Automaten schalteten Nacht für Nacht die Triebwerke ein, Atomfeuer strömte flammend aus den Düsen, immer rascher wurde der Flug, erreichte 120000 Kilometer in der Sekunde – doch die Sterne blieben unbewegt.
Die Neunte Sinfonie von Beethoven
    Tief in mir verborgen, schlummerten noch unentwickelte Keime von etwas ganz Neuem, Unerlebtem, Unerkanntem und Unbekanntem. Sie waren durch die Begegnungen mit Menschen, durch die Stunden, die ich an den Fernsehgeräten zugebracht hatte, um die Sendungen von der Erde zu empfangen, ständig gehemmt, gedämpft, ja unterdrückt worden, und nur in den Augenblicken zwischen dem Ende eines Traumes und dem Anfang eines neuen, auf meinen einsamen Wanderungen unter den Sternen oder bei Tagesanbruch waren sie wie blendende Lichter aufgeflammt und erloschen… All das sammelte, vereinigte sich und brach am 263. Tag unseres Fluges mit elementarer Wucht durch.
    Ich hatte meine alltägliche Beschäftigung später beendet als sonst und blieb vor der großen Araukarie im Vorsaal der Krankenstation stehen, unschlüssig, wie und wo ich den Rest des Abends verbringen sollte. Noch immer unentschlossen, fuhr ich in den Garten.
    Eine frühe, lenzesfrische Abenddämmerung senkte sich herab. Der Wind war stärker als gewöhnlich – vielleicht hatte einer der Gefährten es gewünscht. Heftige Windstöße bogen die

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