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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Fragen hin erläuterte er, wie er sich das vorstellte: Die Boote werden in verhältnismäßig kleinen, parallel zueinander liegenden Bassins untergebracht, die zu einem videoplastischen See erweitert werden. Während die Mannschaften rudern, prüfen unsichtbare Meßgeräte die Leistung. Die Mannschaft mit der größten Ruderleistung ist Sieger… Zorin skizzierte die ganze Apparatur mit der Hand in der Luft. Da unterbrach ihn der Physiker Griga bitter: „Das, was Zorin vorschlägt, hat nichts mehr mit sportlichen Wettkämpfen zu tun. Das sind Halluzinationen. Wir haben ohnehin schon zuviel von diesem videoplastischen Betrug um uns – einen künstlichen Himmel, eine künstliche Sonne und künstliches Wasser. Wer weiß, vielleicht sitzen wir alle in einer ganz gewöhnlichen, großen Holztonne, und die Gea, der Kosmos, unsere Expedition und die Sternbilder sind nur videoplastische Panoramen.“
    Einige brachen in helles Lachen aus. Das reizte den Physiker noch mehr. „Wozu brauchen wir diese Spielereien?“ rief er, sprang auf und fuhr erregt fort: „Das ist doch der reinste Selbstbetrug! Wenn das so weitergeht, dann wird keiner von uns noch etwas tun, sogar die Videoplastik wird überflüssig. Wer zum Beispiel eine Bergbesteigung auf dem Himalaja erleben will, der braucht bloß eine Pille zu schlucken, die die entsprechenden Gehirnzentren reizt. Er sitzt bequem in seinem Sessel und hat völlig wirklichkeitsgetreu alle Eindrücke und Empfindungen, die man bei einer Bergtour zwischen Felsen und Eis hat. Was für eine Selbstverdummung! Das ist doch alles nichts anderes als ein Narkotikum, ein niederträchtiges Ersatzmittel. Wenn man etwas nicht wirklich tun kann, dann soll man es überhaupt nicht tun!“
    Die letzten Worte schrie er beinahe. Anfangs hatten einige gelacht, aber diese vereinzelten Heiterkeitsausbrüche verstummten sehr bald. Ein Biologe versuchte, sachlich zu den Narkotika und ihren Wirkungen Stellung zu nehmen. Aber keiner hörte zu. Wir verabschiedeten uns voneinander, als hätten wir es plötzlich alle sehr eilig.
    Die geheimnisvolle Erscheinung, deren Zeuge ich zufällig vor der Schutzwand geworden war, ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ich hatte versprochen, mit niemandem darüber zu reden. Um so mehr beschäftigte ich mich damit. Eine Zeitlang erwartete ich das allabendliche Signal der Geschwindigkeitssteigerung mit wachsender Unruhe. Überall, wo ich mich in diesem Augenblick gerade befand, stellte ich auf eigene Faust ebenso primitive wie anstrengende Beobachtungen an. Sie waren erfolglos. Ein paarmal blieb ich absichtlich länger bei Ter Haar, um auf dem Wege in meine Wohnung an dem Knick der Schutzwand Vorbeigehen zu können. Aber dort war es dunkel und leer, nichts und niemand zeigte sich. Ich hatte die größte Lust, das Experiment Yrjölas mit der Asche zu wiederholen, fürchtete aber, mich lächerlich zu machen, wenn mich jemand dabei überraschte. Bald darauf löste sich das Problem von selbst. Yrjöla, der am Ende des nächsten Monats wieder zum Mittagessen in den Garten kam, war in bester Laune und schien die nächtliche Begegnung vergessen zu haben. In der Unterhaltung spielte ich ein oder zweimal darauf an, und als das nichts nützte, fragte ich ihn unumwunden.
    „Ach, das ist nichts von Bedeutung“, antwortete er. „Es ist alles in Ordnung. Auf solche Dinge stößt man immer wieder, wenn man Neuland betritt.“
    Abends ging ich in die Sterngalerie. Ich hatte gehört, daß die Astrophysiker Vorbereitungen für die Beobachtung einer sehr seltenen Naturerscheinung trafen. Es handelte sich um das Aufflammen einer Supernova zu Beginn des neuen Jahres. Über das Kollektiv Goobars waren ebenfalls Gerüchte im Umlauf; wie es hieß, war er einer neuen Entdeckung auf der Spur.
    In der Sterngalerie traf ich nur wenige Menschen – zu wenige, wenn man in Betracht zieht, daß in den anderen Kollektiven mehr als hundertachtzig Expeditionsteilnehmer tätig waren. Aber ich machte mir keine Gedanken darüber, sondern schrieb es der allgemeinen Arbeitsüberlastung zu.
    Die Leere des unendlichen Weltraums zog mich immer mehr in ihren Bann. Anfangs hatte ich sie noch mit den Augen eines Liebhaberastronomen gesehen, die einzelnen Gestirne klassifiziert und mich bemüht, ihren Namen festzustellen. Allmählich aber hörte ich auf, die Konstellationen zu unterscheiden. Ich suchte sie nicht von dem schwarzen Hintergrund zu trennen, wie man ja auch nicht die Augen oder den Mund eines vertrauten Gesichts

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