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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Konsequenzen geplanter stereometrischer Lösungen voraussah. Ich glaubte, daß dies mit seiner Herrschaft über den Raum zusammenhing, die er seinem Körper verdankte. Wie und wann er arbeitete, wußte keiner. Er erschien sozusagen als Gast bei Tembhara, verweilte eine Stunde im Laboratorium, übernahm eine Aufgabe und tauchte zwei oder drei Tage später mit der fertigen Lösung im Kopf wieder auf. Er notierte niemals etwas, denn er hatte ein hervorragendes Gedächtnis. Seinen bläulich schimmernden, blaßgrünen, lockeren Sportanzug konnte man in den entlegensten Winkeln des Schiffes, in einem der vielen Gänge an der Bordwand der Gea, über der Flugzeughalle oder auf dem untersten Deck aufleuchten sehen. Häufig war er allein, doch dann und wann hatte er einen Begleiter: den Piloten Ameta. Die beiden schienen niemals miteinander zu sprechen. Sie beherrschten die Kunst zu schweigen in einer Vollendung, die mich mehr beunruhigte als wunderte, da sie mir fremd ist. Mit wiegenden, leichten Schritten gingen sie in der Sterngalerie auf und ab, warfen sich von Zeit zu Zeit ein für niemanden verständliches Wort zu – vielleicht den Namen eines Raumschiffes oder einer kosmodromischen Station – und schwiegen wieder, als verarbeiteten sie einen gemeinsamen Gedanken.
    Die Gea hatte eine Geschwindigkeit von 90000 Kilometern in der Sekunde erreicht. Scheinbar bewegungslos hing sie im Raum zwischen den Sternen, deren Licht sich auf Grund des Dopplereffekts langsam veränderte. Die Gestirne vor dem Bug des Schiffes wurden violett, die hinter dem Heck rot. Die feinfühligen Apparate, die diese Veränderungen registrieren und untersuchen, maßen die für irdische Verhältnisse riesige, unbegreifliche, ja unmögliche Geschwindigkeit, mit der wir durch den Raum rasten. Eine Rakete, die sich mit einer solchen Schnelligkeit in Erdnähe bewegte, würde sich bei der Berührung mit den äußersten verdünnten Schichten der Atmosphäre im Augenblick in glühende Materie verwandeln. Hier aber war und blieb alles ringsum – die Sterne wie die schwarze, gähnende Leere zwischen ihnen – unverändert. Nur vom Ende des Hinterdecks aus konnten wir unsere Sonne noch als ziemlich hellen Stern sehen, der die Farbe gelbflüssigen Stahls hatte. Sie sandte uns ihre Strahlen aus der Tiefe einer flachen Schale, einer Zodiakalstaubwolke, die in der Ebene der Ekliptik kreist.
    Das weitere Anwachsen der Entfernung wurde zu einer Reihe immer größerer, toter Zahlen. Der Verstand vermochte sie nicht mehr zu fassen.
    Von verschiedenen Seiten wurde mir vorgeschlagen, mich diesem oder jenem Arbeitskollektiv anzuschließen. Ich hatte sogar Lust, mit den Videoplastikern in engeren Kontakt zu treten, schob es aber immer wieder hinaus; denn ich beschäftigte mich derzeit mit ausgedehnten medizinischen Studien. Abends führte ich komplizierte Operationen an Trionenphantomen aus, las die Fachliteratur, vertiefte mich in die reichen Fundgruben unserer medizinischen Schiffsbibliothek. Die Studien befriedigten mich. Trotzdem war ständig eine leise Unruhe in mir. Bald schien es mir, als käme ich zuwenig mit anderen Menschen zusammen, bald glaubte ich, meine Studien hätten allzu akademischen Charakter und nützten niemandem auf dem Schiff. Die Gedanken an eine Praxis nach meiner Rückkehr auf die Erde waren irreal ; denn das alles lag in weiter, nebelhafter Ferne.
    Während ich studierte, las, Patienten empfing, Ter Haar besuchte, mit Ameta stundenlang spazierenging, vollzogen sich in der ganzen Atmosphäre an Bord der Gea schwer greifbare, langsame, aber unabänderliche Wandlungen. Zahlreiche kleine Ereignisse hätten meine Aufmerksamkeit erregen müssen, aber ich war wie blind und taub. Später wunderte ich mich darüber, daß ich nichts bemerkt hatte. Heute glaube ich, daß es eine Art psychischer Selbstverteidigung war, die die Vorboten dessen, was sich näherte, als hätte es in einem der schwarzen Abgründe des Alls auf uns gelauert, nicht in mein Bewußtsein dringen lassen wollte.
    Eines Abends ruhten wir, ermüdet vom Training, halbnackt, mit dampfendem Körper nach der heißen Dusche, auf den Liegestühlen aus. Einer von uns schlug sich mit der Handkante auf die Schenkel, als wollte er eine unterbrochene Massage fortsetzen, und meinte, es sei doch schade, daß wir keine Ruderregatta veranstalten könnten. Zorin hörte lächelnd zu, dann erklärte er sich bereit, ein richtiges Wettrudern mit Achtern auf der Gea zu organisieren. Auf unsere erstaunten

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