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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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hastige, ängstlich abwehrende Geste lähmte uns, brachte uns sekundenlang aus der Fassung; denn wir waren an seine absolute Apathie gewöhnt. Anna beugte sich über ihn, begann leise, beruhigend auf ihn einzureden und löste seine Finger zart, wie bei einem kindlichen Spiel oder einer Liebkosung, von seinem Gesicht. Nun gab er den Widerstand auf. Sein Gesicht aber war noch immer gespannt wie eine geballte Faust. Die Metallklammern schlossen sich um seine Schläfen. Eine kremfarbene Decke verhüllte den Rumpf. Nur die entblößte Brust bewegte sich gleichmäßig. Das Licht wurde schwächer, schließlich herrschte Halbdunkel. Aus dem glänzenden Helm, der den Schädel des Kranken bedeckte, spießten die Elektroden wie Igelstacheln heraus. Sie waren mit Verstärkern und einem Funkortungsgerät verbunden. Die Entladungen der Bioströme wurden im Bildschirm sichtbar. Sein gläserner Körper, der einem Globus ähnelte, überragte das Kopfende der Metallplatte. Die Forscher im Mittelalter hatten angenommen, daß es einmal möglich sein würde, aus den Bioströmen im Gehirn mit Hilfe des Gehirnfernsehapparates Gedanken zu lesen. Diese Vermutung wurde bald widerlegt; denn es zeigte sich, daß die bioelektrischen Erscheinungen zwar die Intensität des Stoffwechsels im Hirn und den Ablauf der wichtigsten Nervenprozesse, der Reizung und der Hemmung, erkennen lassen, daß sie aber nicht die Möglichkeit bieten, über so komplizierte Vorgänge wie den Denkprozeß, der bei jedem Menschen anders verläuft, völlige Klarheit zu erlangen. Ähnlichen Stromkurven entsprechen keineswegs ähnliche Begriffe. Wohl aber gestattet das Gehirnfernsehgerät dem Arzt, die Dynamik der psychischen Prozesse zu verfolgen und auf Grund dieser Feststellung eine Erkrankung oder Beschädigung des Gehirns zu erkennen.
    Schrey lauschte dem Summen der Verstärker, als versuchte er, aus diesem Gemisch von Tönen eine Melodie herauszuhören. Schließlich schaltete er das Gerät ein.
    Die durchsichtige Tiefe des Globus wurde hell. In das Glas gebannt, bewegten sich viele tausend Flinken so rasch, daß nur zitternde Spiralen und Kreise zu sehen waren. Sie glichen einer phantastischen, aus Licht gewebten Spitze, die, von scharfen Zickzacklinien gesäumt, im Raum hing. Da und dort lösten einzelne Entladungen das verdichtete Gewebe in zersprühende Perlenschnüre auf.
    Allmählich füllte ein tiefvioletter Schein die ganze Kugel. Sie erinnerte an ein kleines Himmelsgewölbe, das von den Lichtbahnen fallender Sterne durchzogen wird. Tausende feinster Verästelungen solcher Bahnen verflochten und entflochten sich ununterbrochen und schufen eine unvergleichlich regelmäßige und schöne Zeichnung.
    „Sprechen Sie bitte zu ihm“, flüsterte Schrey Anna ins Ohr. Ich sah sein Gesicht nur undeutlich in dem Licht, das die Kugel ausstrahlte. Die schmale, scharfe Nase hob sich hell von den dunklen Schatten ab.
    „Was soll ich sagen?“ fragte Anna verwirrt.
    „Irgend etwas“, brummte Schrey und neigte sich noch tiefer über die leuchtende Kugel.
    Anna näherte ihren Kopf dem Helm. „Du hörst mich, nicht wahr?“
    Nichts änderte sich in dem Wirbel heller Punkte.
    „Sag mir, wer du bist. Wie heißt du?“ Ihre Stimme ging in dem monotonen Summen der Verstärker beinahe unter. Diese Frage, die wir unzählige Male an den Kranken gerichtet hatten, blieb wie immer ohne Antwort. Die hellen Funken zogen weiter ihre geschlossenen Bahnen, schwangen unausgesetzt nach oben und unten. Anna erinnerte Pjotr an den Ganymed, an die kosmodromische Station, nannte allgemein bekannte irdische Namen und Orte. All das rief nicht die geringste Veränderung in der Bewegung der Lichtpunkte hervor.
    Obwohl ich bisher selten bei solchen Untersuchungen assistiert hatte‚ fiel mir ein, daß diese Funken, an die Bahnen des unaufhörlichen Kreislaufs gefesselt, lediglich die Widerspiegelung des Stoffwechsels der vegetativen Gehirntätigkeit sind. Ihre Rhythmik und ihre Symmetrie wurden nicht von irregulären Entladungen gestört, die auf den Laien einen chaotischen Eindruck machen, obwohl gerade sie ein Bild der Gedanken sind.
    Ich selbst konnte mich als Student anfangs nicht damit abfinden, daß die Reflexe eines kristallklaren, logischen Denkprozesses ein scheinbar wirres Durcheinander von Lichtblitzen sind.
    Über den Arm Schreys gebeugt, starrte ich in die Tiefe der Kugel. An einigen Stellen leuchtete sie ungleichmäßig. Dort schien die Lichtströmung auf unsichtbare Riffe zu stoßen,

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