Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Belastung, die das Amt des Bundespräsidenten für Joachim Gauck mit sich brachte, war der damit verbundene Verlust an unbehelligtem Privatleben. Bereits unmittelbar nach seiner Nominierung wurden Gaucks öffentliche Auftritte von Beamten des Bundeskriminalamtes gesichert. Ab sofort galt für ihn »Sicherheitsstufe eins«, Personenschutz rund um die Uhr. Seinem Freund Jörn Reiche klagte er noch vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten: »Mir fehlen drei Eier zum Frühstück. Weißt du, ich kann jetzt nicht einfach losgehen und die holen. Ich muss vorher erst mal 379 beim Personenschutz anrufen.« Schon 1990, als Chef der BStU , war er zum ersten Mal von Leibwächtern begleitet worden. Es war ihm unangenehm gewesen. »Ein Jahr nach der Wende kam ich wieder mal nach Rostock. Ich traf mich mit all meinen Freunden in der Marienkirche. Ich wurde von Bodyguards begleitet, dafür habe ich mich geschämt.«
Unmittelbar vor der Wahl war Gauck angesichts des drohenden Verlustes an Privatheit geradezu depressiv gestimmt. »Jetzt kann ich nicht mehr am FKK -Strand baden gehen«, klagte er gegenüber Helga Hirsch traurig. Wenn er künftig als Staatsoberhaupt eine Reise unternahm, gehörten neben den Sicherheitsleuten immer ein Arzt und ein Sanitäter zu seinem Begleittross. Selbst wenn er im Urlaub eine Fahrradtour machte, wurde er dabei von Sicherheitsleuten begleitet. Als er während seines Sommerurlaubs 2012 in Wustrow zu seinen Freunden radelte, war keiner der Personenschützer zu sehen. »Wo sind die denn?«, fragten Burkhard Schliephake und Heidi Lüneburg. »Keine Ahnung«, meinte Gauck, »irgendwo treiben die sich schon rum.« Als er später mit Daniela Schadt nach Hause fuhr, beobachteten seine Freunde, wie zwei kräftige Männer in Freizeitkleidung und auf Rädern wie aus dem Nichts auftauchten und den Bundespräsidenten und seine Lebensgefährtin mit etwas Abstand begleiteten.
Zu diesem Verlust an persönlicher Freiheit kam der Zwang, sich bei seinen Auftritten als Redner zurückzunehmen. Auf jedes Wort zu achten, das er sagte, gehörte zu den größten Herausforderungen für Joachim Gauck. Seine Rede im holländischen Breda etwa las er gegen seine Gewohnheit wörtlich vom Blatt ab und wirkte dabei ungewöhnlich nervös. Das wiederholte sich später bei weiteren besonders wichtigen Anlässen, beispielsweise bei seiner ersten großen Rede zum Thema Europa, ein Jahr nach sei 380 nem Amtsantritt. Auch diese Ansprache hielt er nicht frei, sondern las sie vor, worunter seine übliche Lockerheit sichtbar litt. »Er mag es nicht, dass er den Text jetzt ablesen muss«, meinte Helga Hirsch dazu, »bei der Disziplin, die er da anlegen muss, da fließt es nicht. Seine Stärke ist, dass er eine Beziehung zum Publikum aufbauen kann. Das geht jetzt nicht mehr.« Gauck selbst klagte über die diesbezügliche Bürde des neuen Amtes: »Ich bin nicht nur Gauck, ich bin der Präsident dieses großen Landes.« Und bei anderer Gelegenheit: »Die Öffentlichkeit untersucht jeden Halbsatz auf seine Deutungsmöglichkeiten. Daraus habe ich gelernt, manche Eigentümlichkeiten, Frechheiten oder zugespitzte Formulierungen nur noch sehr zurückhaltend einzusetzen.«
Schließlich lasteten die physischen und psychischen Anforderungen des Amtes auf dem Dreiundsiebzigjährigen. »Er hat in den letzten hundert Tagen bestenfalls einen Tag pro Woche frei gehabt«, berichtete Helga Hirsch über den Arbeitsalltag von Joachim Gauck im ersten Vierteljahr, »irgendwann führt das natürlich zu Ermüdungserscheinungen. So hat er sich die Beanspruchung vorher nicht vorgestellt.« Gauck selber urteilte über seine Arbeitsbelastung: »Es gibt viele Zusagen von meinem Vorgänger, die versuche ich möglichst einzuhalten. Darüber hinaus gibt es aktuelle Termine, die ich einfach wahrnehmen muss. Es soll aber nicht in diesem Tempo und in dieser Intensität weitergehen.«
Es ging genauso weiter. Selbst während seines ersten Sommerurlaubes 2012 nahm Gauck eine ganze Reihe offizieller Terminen wahr: Eröffnung der XX . Olympischen Spiele in London, Besuch eines Rockfestivals in Kostrzyn gemeinsam mit seinem polnischen Amtskollegen, Buchlesung in einer Kirche auf Rügen, Empfang der Ehrenbürgerwürde seiner Heimatstadt auf einem Festakt in Rostock, 381 Eröffnung der Hansesail am gleichen Tag. Der Terminkalender des Bundespräsidenten war immer auf Wochen ausgebucht. Und die Hinweise aus Gaucks Umfeld, dass die intellektuelle und körperliche Bürde des Amtes ihn
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