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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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Stalinisierung der DDR zur Wehr setzen. Menschen, die Verleumdungen ihrer Nachbarn zum Opfer fallen. »Den haben sie abgeholt«, ist das geflügelte Wort, wenn jemand von einem auf den anderen Tag verschwunden ist. Und es verschwinden viele in den ersten Nachkriegsjahren.
    Auch Wilhelm Joachim Gauck. Mehr als vier Jahre werden vergehen, bis er seine Familie wiedersehen wird. Seine Ahnung, dass er unter einem Vorwand von zu Hause weggelockt worden ist, hat ihn nicht getrogen. Man bringt ihn nach Schwerin. Hier fällt ein sowjetisches Militärtribunal in Schwerin im Fließbandverfahren absurde Urteile gegen »Spione« und »Gegner der Sowjetunion«. Bis zu Stalins Tod 1953 werden tausende unschuldiger Ostdeutscher in Schauprozessen zu drakonischen Haftstrafen verurteilt. Der Terror hat zwei rationale Beweggründe: Zum einen soll die Bevölkerung verunsichert werden, um ihren Widerstand gegen die Stalinisierung der DDR zu brechen. 47 Zum anderen sind die Verurteilten den Sowjets hochwillkommen als Zwangsarbeiter. Das übliche Strafmaß beläuft sich auf fünfundzwanzig Jahre Zwangsarbeit. Sie müssen entweder in einen Speziallager auf deutschem Boden oder einem »Besserungsarbeitslager« im Gulag-System der Sowjetunion verbüßt werden.
    Offiziere des sowjetischen Ministeriums für Staatssicherheit knöpfen sich Wilhelm Joachim Gauck vor. Der Vorwurf: Er soll Informant eines französischen Spionageringes gewesen sein. Der Vorwurf ist lebensgefährlich. Rund tausend Deutsche werden allein zwischen 1950 und 1953 von sowjetischen Militärtribunalen zum Tode verurteilt – nach Moskau deportiert, erschossen, eingeäschert und in einem Massengrab verscharrt. Auch fünf der sechzehn Mitangeklagten von Gauck werden am Ende dieses Prozesses wegen vermeintlicher Spionage zum Tode verurteilt und 1952 in Moskau hingerichtet. Alle Angeklagten – wie rund zehntausend andere, unschuldig in die Mühlen der stalinistischen Verfolgung geratene Ostdeutsche – wurden Jahrzehnte später von der russischen Militärstaatsanwaltschaft rehabilitiert.
    Wochenlang werden Gauck senior und seine Mitangeklagten verhört, Tag und Nacht. Immer wieder Leibesvisitationen. Ein ums andere Mal Fragebögen. Quälende Ungewissheit über das eigene Schicksal. Wenn er zu den Verhören gerufen wird, zittert er, er kann es nicht verbergen. Am 24. November 1951 fällt das »Urteil« in dem Geheimprozess, in dem Verteidiger, entlastende Zeugen und Beweise nicht zugelassen sind. Alle siebzehn Angeklagten werden für schuldig befunden. Das Strafmaß für Gaucks Vater: Zweimal fünfundzwanzig Jahre Haft, die zu einer Gesamtstrafe von fünfundzwanzig Jahren zusammengefasst werden. Zu verbüßen in einem Besserungsarbeitslager 48 des Gulag. Das Urteil ist sofort rechtskräftig. Ende Januar 1952 wird Wilhelm Joachim Gauck in ein sibirisches Arbeitslager westlich von Irkutsk verfrachtet.
    1952 sind in diesem Lager rund siebenunddreißigtausend Häftlinge vieler Nationen untergebracht, die im Eisenbahnbau, in Bergwerken und bei Waldarbeiten Zwangsarbeit leisten müssen. Gauck fällt in den umliegenden Wäldern Bäume, aus denen Balken oder Eisenbahnschwellen geschnitten werden. Die Lebensumstände sind brutal. Im Sommer steigen die Temperaturen auf über dreißig Grad, im Winter herrscht sibirische Kälte. Die Essensrationen sind so klein, dass viele Häftlinge an Hunger und Entkräftung sterben. Gauck senior wird später von der »Handvoll Vogelfutter, auf das man Wasser goss« erzählen, »das war meine Suppe«. Er leidet unter schwersten Magenproblemen, magert ab bis zum Skelett und hat Hungerödeme und Wasser in den Beinen. Er wird invalidisiert und bekommt leichtere Arbeit. Er darf künftig die Latrinen ausräumen. Das rettet ihm das Leben.
    Von dem Prozess bekam seine Familie genauso wenig mit wie von seiner Deportation nach Sibirien. Er war für sie von einem Tag auf den anderen spurlos verschwunden. Seine Mutter und seine Frau taten alles Menschenmögliche, um ihn aufzuspüren. Sie gaben eine Vermisstenanzeige auf, wurden bei der Staatssicherheit und der Volkspolizei vorstellig. Staatspräsident Pieck, SED -Chef Ulbricht und das Rote Kreuz erhielten verzweifelte Briefe von ihnen. Sechsmal versuchte Gaucks Mutter Antonie vergeblich, Wilhelm Pieck ihr Anliegen persönlich vorzutragen. http://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Gauck#cite_note-7 Sie fuhr zu jedem Gefängnis der DDR und fragte vor Ort, ob ihr Sohn hier gefangen gehalten werde. Als sie nach Schwerin

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