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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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wurde Gauck Leiter des im Juni 1983 in Rostock stattfindenden Kirchentages in Mecklenburg und Vorpommern, der unter dem Motto »Vertrauen wagen« stand. Die dezentral in den Bezirken der DDR stattfindenden Kirchentage waren die größten Veranstaltungen und die Höhepunkte des öffentlichen Lebens der Kirchen. Den Kirchentagen des Jahres 1983 kam eine besondere Bedeutung zu. Im Lutherjahr, dem fünfhundertsten Geburtstag des Reformators, unterstützten die SED -Führer diese kirchlichen Feierlichkeiten deutlich großzügiger als sonst. Sie erhofften sich, dadurch die außenpolitische Reputation der DDR verbessern zu können. Staatschef Erich Honecker, der ab 1983 einen Staatsbesuch in der Bundesrepublik plante, übernahm vor diesem Hintergrund persönlich die Schirmherrschaft für die Luther-Ehrungen. Dass Joachim Gauck das Amt des Vorsitzenden des Landesausschusses des Evangelischen Kirchentages übertragen worden war, war ein großer Vertrauensbeweis für den jetzt Zweiundvierzigjährigen.
    Zur Veranstaltung in Rostock wurden dreißigtausend Teilnehmer erwartet, was immenser logistischer Vorbereitungen bedurfte. Für die reibungslose An- und Abreise der 144 Gläubigen mussten Sonderzüge und Sonderbusse eingesetzt werden. Tausende Übernachtungsgäste brauchten ein Quartier und Verpflegung. Räumlichkeiten, in denen die vielfältigen Veranstaltungen durchgeführt werden konnten, waren zu organisieren. Schließlich wollte die Kirche das Ereignis auch groß bewerben. Programmhefte, Anmeldekarten und Einladungsbriefe mussten geschrieben und gedruckt werden und große Aufsteller und Plakate sollten an neuralgischen Punkten in der Stadt Rostock auf die Veranstaltung und ihr Programm hinweisen. Für all das benötigten Gauck und sein Organisationskomitee die Genehmigung und die Hilfe des Staates, der allein über die entsprechenden Ressourcen verfügte.
    Die staatlichen Organe in Rostock waren alarmiert. Eine Massenveranstaltung dieser Größenordnung durfte nicht entgleisen. Nicht auszumalen, wenn es während des Kirchentages zu öffentlichen politischen Protestaktionen kommen würde. Ein Albtraum für die verantwortlichen Genossen wie den damaligen Referenten für Kirchenfragen des Bezirks Rostock mit dem sprechenden Namen Macht. Aber die Kirche wollte ja einiges von der SED : Tagungsräume, Gulaschkanonen, Papier und Druckkapazitäten. Wenn der Staat all das zur Verfügung stellen sollte, musste sich Gauck als Leiter des Kirchentages wohl oder übel anhören, welche Forderungen die SED an die Kirche hatte. Zum Beispiel kleinkarierte Änderungen im Programmheft des Kirchentages. Ein eingeladener Bischof aus der Bundesrepublik, der zunächst namentlich genannt werden sollte, musste stattdessen als »ökumenischer Gast« bezeichnet werden. Erst danach wurden die von der Kirche gewünschten Satz- und Druckgenehmigungen erteilt.
    Roland Macht, laut der Historikerin Rahel Frank, die die DDR -Kirchenpolitik in der Landeskirche Mecklenburgs 145 untersuchte, ein »Stalinist mit Scheuklappen« bis zuletzt, nutzte die Gelegenheit, um den Chef des Kirchentages zu einem ganz anderen Thema zur Ordnung zu rufen. Gaucks kirchliche Veranstaltungen für Jugendliche hätten »zweideutigen, wenn nicht sozialismusfeindlichen Charakter«, ereiferte sich Macht. Der Stadtjugendpastor erwecke »bei den Jugendlichen Illusionen, die mit den politischen Realitäten in unserem Land nicht in Einklang zu bringen sind«. Der Gescholtene erinnerte sich: »Als Leiter der Kirchentagsarbeit hatte ich viel mit Macht zu tun. Das war ein Dummkopf und Betonkopf, eine typische Figur aus einer Diktatur.«
    Parallel dazu versuchten die regionalen SED -Führer, über Gaucks Vorgesetzten, den Landessuperintendenten der evangelischen Landeskirche, Günter Goldenbaum, alias IM »Schramm«, Druck auf den Kirchentagschef auszuüben. Sie beschwerten sich bei Goldenbaum über »das provokatorische Auftreten des Stadtjugendpastors« und drohten, dass der Staat das nicht länger hinnehmen werde. Gauck habe sich bereits wegen »staatsfeindlicher Hetze« strafbar gemacht. Sollten diese Provokationen nicht unterbleiben, würde Gauck »als verantwortlicher Verhandlungspartner der Kirche zum Kirchentag 1983 nicht mehr akzeptiert werden«. Goldenbaum versicherte laut Stasi-Akten daraufhin, »dass mit dem Stadtjugendpastor Gauck ob seines provokatorischen Auftretens offizielle Gespräche geführt wurden. In schriftlicher und mündlicher Form wurde er vom Landessuperintendenten

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