Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Marianne war fassungslos. »Mit so einem Menschen hatten wir nicht gerechnet.« Manteuffel sagte irgendetwas zur künftigen gemeinsamen Arbeit. Daraufhin entgegnete der Jubilar kühl: »Wenn Sie dann noch im Amt sind.« Manfred Manteuffel ist bis heute über die damalige Szene verbittert. »Er hat so richtig seinen Hass ausgeschüttet. Als ich reinkam, hat er mich den Anwesenden vorgestellt: ›Dieser Mann ist Referent für Kirchenfragen. Dieses Thema hat sich überlebt. Diese Leute braucht man nicht mehr.‹«
Da hatte Gauck recht. Die Zeit der staatlichen Gängelei 138 der Kirchen war abgelaufen. Aber war es erforderlich, dass der Sieger dem Verlierer, der schon fast am Boden lag, auf diese Weise mental in den Bauch trat? Gaucks Frau Hansi tat Manteuffel leid. Sie bat den Kirchenreferenten, neben ihr am Tisch Platz zu nehmen. »Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir. Er ist heute nicht gut drauf.« Da war sie wieder, die Schroffheit im Wesen von Gauck. Dass er so harsch reagierte, hatte nicht allein mit der Anwesenheit des SED -Vertreters, sondern auch mit ihm selbst zu tun. Manteuffel kannte ihn gut. Der Kirchenreferent wusste, dass Gauck sich auch immer wieder mal opportunistisch verhalten hatte, um seine Ziele gegenüber dem Staat durchzusetzen. Jetzt, als deutlich geworden war, dass das Machtmonopol der SED fallen würde, war es Gauck unangenehm, dass er Manteuffel früher gelegentlich nach dem Munde geredet hatte. Beispielsweise nachdem seine Söhne Christian und Martin Ausreiseanträge gestellt hatten und sich ihr Vater laut seinen Stasi-Akten mit dem bemerkenswerten Satz von ihrem Vorhaben distanzierte: »Ich werde unser Nest nicht beschmutzen.« Manteuffel war in dieser Hinsicht ein Mitwisser. Gauck hätte es am liebsten gesehen, wenn der Kirchenreferent sich in Luft aufgelöst hätte. Dieser Interpretation des Ereignisses widersprach Gauck übrigens und erklärte dazu, dass im Januar 1990 noch Revolutionszeit gewesen sei. Dementsprechend sei es zu diesem Zeitpunkt noch erforderlich gewesen, den Machthabern zu zeigen: »Eure Zeit läuft ab …«
Schwerter zu Pflugscharen
In den späten siebziger Jahren sympathisierte Joachim Gauck mit der Friedensbewegung der DDR , der damals bedeutendsten oppositionellen Bewegung im SED -Staat. Sie fand 139 zum einen so großen Zuspruch, weil vielen DDR -Bürgern das atomare Wettrüsten der Supermächte USA und Sowjetunion Sorgen und Ängste bereitete. Zum anderen trugen die hysterischen Anstrengungen der SED -Führung, die DDR -Gesellschaft in permanenter Kampfbereitschaft gegen den Klassenfeind zu halten, wesentlich zum Erstarken der Friedensbewegung bei. Fast immer organisierten sich die damals entstehenden Friedensgruppen unter dem schützenden Dach der Kirche, wo die Bewegung, insbesondere in der kirchlichen Jugendarbeit, ihren Ursprung hatte. Auch Joachim Gauck gehörte zu den vielen evangelischen Geistlichen, die die Friedensbewegung und ihre Protagonisten mit den Möglichkeiten der Kirche unterstützten. In seinem Arbeitszimmer an der Nikolaikirche hing an der Wand ein Pappschild mit dem Spruch: »Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin«. Zuvor hatte Gauck das Schild mehrere Monate lang in seinem Trabi angebracht gehabt, so dass es von außen gut lesbar war. »Sichtagitation« hieß so etwas im Jargon der Stasi. Mehrfach hatten SED -Vertreter den Pastor auffordern müssen, das provokative Bekenntnis aus seinem Pkw zu entfernen, bis dieser schließlich Folge leistete.
Zu Gaucks Haltung trugen auch die persönlichen Erfahrungen seiner eigenen Familie im Hinblick auf die Militarisierung der DDR -Gesellschaft bei. Schon im Herbst 1958 hatte der Staat gegenüber Hansi Gauck signalisiert, dass ihm ihre persönliche Wehrkraft sehr am Herzen lag. Als sie nach dem Abitur im Herbst 1958 in Güstrow ein Lehrerstudium für Deutsch und Russisch aufnahm, musste sie wie alle Studienanfänger vor dem Start am dortigen pädagogischen Institut ein Militärlager absolvieren, in dem exerziert und geschossen wurde. Auch nachts wurde geübt, der Feind schlief schließlich nie. Die Studentin brachte ihr parami 140 litärisches Intermezzo noch hinter sich, brach aber bald darauf ihre Ausbildung ab, weil sie sich nicht in der Lage sah, in dieser Atmosphäre zu studieren.
Nicht anders erging es später ihren Kindern. Die 1967 geborene Tochter Gesine musste in der neunten und zehnten Klasse am Pflichtfach Wehrerziehung teilnehmen, welches die DDR 1978 eingeführt hatte. Dazu
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