Gauck: Eine Biographie (German Edition)
zurückkomme, weißt du, wo ich bin.« Mutter Olga, die in den fünfziger Jahren vom MfS unter Druck gesetzt worden war, ihren Mann – den angeblichen Spion – zu verlassen, reagierte auf den Kontakt zwischen ihrer Tochter und der Stasi empört und wütend. Die Staatssicherheit hob die Einreisesperre gegen Sabine schließlich auf, in der Hoffnung, Marianne als Inoffizielle Mitarbeiterin anwerben zu können. Dabei blieb es, auch als es mit deren erhoffter Anwerbung nichts wurde. Ein Stasimitarbeiter notierte in 151 seiner schäbigen Protokollsprache: »Durch die Abt. XX erfolgte eine Kontaktierung der G. [Marianne Gauck], in deren Ergebnis die Unzweckmäßigkeit einer inoffiziellen Zusammenarbeit festgestellt wurde. Die erneute Einleitung einer Einreisesperre zu [Sabine Gauck] ist aus genannten operativen Gründen nicht zweckmäßig, obwohl bekannt ist, dass sie feindlich negativ wirksam ist.« Im März 1985 musste man sich beim » VEB Horch und Guck« in Rostock eingestehen: »Inoffizielle Kontrollmöglichkeiten im engeren Familienkreis von ›Larve‹ sind nicht vorhanden.«
Reiseverbot
Die wichtigste Repressalie, die die Stasi Anfang 1983 gegen Gauck verhängte und die diesen empfindlich traf, war ein Reiseverbot. Von da an waren ihm sowohl eigene Reisen ins westliche Ausland als auch der Empfang von Besuchern aus der Bundesrepublik untersagt. In der Vergangenheit war ihm das eine oder andere Mal eine Auslandsreise genehmigt worden. Das war ein vom Staat wohldosiertes, selten gewährtes Bonbon, von dem der Beschenkte monate-, wenn nicht jahrelang zehrte. So hatte Gauck im März 1978 für zehn Tage nach West-Berlin fahren dürfen, als seine Schwester Sabine dort zum zweiten Mal heiratete. Es war sein erster Besuch im Westen seit dem Mauerbau gewesen.
Gauck nutzte damals die Gelegenheit, um nicht nur West-Berlin, sondern auch Freunde in Hamburg zu besuchen. Dazu musste er von West-Berlin aus fliegen, denn sein Visum galt nur für den Westteil Berlins, nicht für die Bundesrepublik. Auch ein Kurzbesuch in Dänemark fand bei dieser Gelegenheit statt. »Kein Problem«, meinten seine Freunde, als Gauck seinen unbändigen Wunsch geäußert hatte, wenigstens einmal in seinem Leben in Dänemark 152 gewesen zu sein. Sie fuhren mit ihm nach Harrislee, einer Gemeinde nordwestlich von Flensburg, direkt an der Grenze zum nördlichen Nachbarland gelegen. Im Gemeindeamt bat Gauck um die Ausstellung eines bundesdeutschen Personalausweises, um damit nach Dänemark reisen zu können. Mit seinem DDR -Pass war das nicht möglich. »Was, um für eine Stunde nach Dänemark zu fahren, wollen Sie einen Personalausweis«, wunderte sich der zuständige Beamte. Doch dann holte er eine Polaroid-Kamera hervor, fotografierte Gauck, und der hatte innerhalb von fünf Minuten seinen Ausweis. Der Kurzaufenthalt in Dänemark war ein erhebender und wichtiger Moment für Gauck. Man könnte ein ganz normaler Mensch sein, dachte er gerührt und erinnerte sich daran, wie lange es gedauert hatte, bis er seinen DDR -Pass mit dem Ausreisevisum in den Händen gehalten hatte.
Nach Harrislee zurückgekehrt, sollte er den Personalausweis im Tausch gegen seinen DDR -Reisepass wieder abgeben. Gauck insistierte: »Nein, den brauche ich, den muss ich doch zu Hause vorzeigen.« Der Gemeindebeamte hatte ein Einsehen, machte das Dokument durch den Stempel »Ungültig« auf jeder Seite und das Abschneiden der Ecken unbrauchbar und gab Gauck den Personalausweis mit. Diese Episode wirft in zweierlei Hinsicht ein Bild auf Gaucks Charakter. Zum einen wird deutlich, wie wichtig es ihm war, sich gegenüber seinen Freunden und Bekannten in Szene setzen zu können und Anerkennung bei ihnen zu finden. Zum anderen kam hier das Erbe seines Vaters in ihm durch. Der hatte früher in der DDR verbotene westliche Zeitschriften mit nach Hause gebracht. Mit demselben Trotz schmuggelte Gauck jetzt den bundesdeutschen Personalausweis in die DDR – ein Beweismittel dafür, dass er gegen die Visabestimmungen seines Landes verstoßen 153 hatte. Vermutlich hätte er nie wieder ein Visum für das westliche Ausland bekommen, hätte man das Dokument bei ihm entdeckt.
24 Gauck bei seinem Besuch in Schweden im weißen Talar
So aber durfte er im März 1981 und im August 1982 zwei Dienstreisen nach Schweden antreten. Noch Jahrzehnte danach schwärmte er von Schweden als seinem »Sehnsuchtsland«. Während andere Pastoren über ihre Auslandsreisen nur sehr zurückhaltend, ja geradezu
Weitere Kostenlose Bücher