Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Vielmehr verdächtigten sie den »feindlichen« Pastor, sich durch einen »Angriff auf die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR « strafbar gemacht zu haben. So konnte es nicht weitergehen. Der Mann musste »diszipliniert« werden – ein Lieblingswort im Stasijargon. Am 24. März 1983 beschloss man in der Rostocker Außenstelle des MfS , Gauck ab sofort »in einem Operativen Vorgang zu bearbeiten«, der unter dem Decknamen »Larve« anlegt wurde. Damit sollte wohl zum Ausdruck gebracht werden, dass der gefährliche Pastor sein wahres Gesicht hinter einer Maske verbarg.
Ziel der operativen Bearbeitung war zum einen, den Nachweis zu erbringen, dass Gauck sich strafbar gemacht hatte. Darüber hinaus beschlossen Mielkes Staatsschützer die »Einleitung von gezielten Zersetzungsmaßnahmen […] zur Eindämmung und Beseitigung der antisozialistisch-feindlichen Wirksamkeit des G«. Praktisch hieß das, dass Mielkes Subalterne von nun an ihre Beobachterrolle aufgaben, um aktiv gegen Gauck und sein Umfeld vorzugehen. Die geplanten » Zersetzungsmaßnahmen « wurden in einem elf Punkte umfassenden »Operativplan« festgehalten. Der »Informelle Mitarbeiter mit Feindberührung« ( IMB ) »Nielsson« sollte sein zu Gauck bestehendes Vertrauensverhältnis 149 weiter ausbauen. Das hieß, noch tiefer in die Privatsphäre seines Opfers eintauchen und dessen Privatbibliothek ausspähen, ob sich darin in der DDR verbotene Literatur befand. Außerdem sollte er in der Wohnung Gaucks schnüffeln, um dort Beweise für die vermeintlichen Straftaten des Verdächtigen zu finden. »Nielsson« berichtete fortan über jedes Buch, jede Broschüre, die Gauck las. Der schüttelt sich noch heute innerlich, wenn er sich an den Stasiinformanten erinnert: »Ein kleiner, erbärmlicher Versager. Er war ein Bekannter von Kempowski und brachte mir auch mal eines von dessen Büchern mit. Das hat er dann dazu benutzt, mich bei der Stasi anzuschwärzen. Er hat mich immer wieder besucht, ich habe versucht, ihn abzuwimmeln. Aber als Pfarrer war das nicht so einfach. Also saßen wir unten in meinem Amtszimmer und redeten. Meine Frau hätte ihn unter keinen Umständen in unsere Wohnung gelassen.«
Die »Informellen Mitarbeiter Sicherung« ( IMS ) »Sven Werder«, »Susi Berger« und der IM -Kandidat »Silvester« wurden damit beauftragt, in kirchlichen Institutionen hinter Gauck her zu spionieren. Das Telefon des Pastors sollte abgehört werden, und man wollte prüfen, wie man eine heimliche Hausdurchsuchung bei ihm durchführen könne. Als letzte Angriffsfläche sollte sein gesamtes Familienumfeld untersucht werden. Die Stasi wollte wissen, in welchem Verhältnis jedes einzelne Familienmitglied zu Gauck stand und welche politische Einstellung der Betreffende hatte. Explizit genannt wurden: Ehefrau, Eltern, Kinder und deren Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten sowie Schwiegereltern.
So gern die Stasi auch in die Familie von Gauck eingedrungen wäre, es gelang ihr nicht. Sie fand keinen Zuträger. Mehrfach versuchten die Geheimpolizisten, Gaucks 150 Schwester Marianne und seinen Bruder Eckart für Spitzeldienste zu gewinnen. Vergebens. Näher heran an die Familie als bis zum Hausnachbarn in Brinckmansdorf kam das MfS nicht. Eckart Gauck verschaffte sich in familientypischer Weise dadurch Ruhe, dass er dem MfS -Emissär, der ihn anwerben wollte, drohte: »Wenn du noch mal kommst, haue ich dir den Arsch voll.« Das genügte, der Mann aus der MfS -Bezirksverwaltung ließ sich nicht mehr blicken. Marianne Gauck wurde 1984 mehrfach von der Stasi zu Gesprächen bestellt. Ihrer in West-Berlin lebenden Schwester Sabine, die bis dahin regelmäßig die DDR besuchen durfte, war im Zuge der »Zersetzungsmaßnahmen« gegen ihren Bruder von einem auf den anderen Tag die Einreise verweigert worden. Sie hatte sich, nachdem ihre Neffen ihre Ausreiseanträge gestellt hatten, natürlich bereit erklärt, Christian und Martin nach ihrer Ankunft im Westen zu unterstützen. Selbst das blieb der Geheimpolizei der DDR nicht verborgen, die es in ihren Akten festhielt. Marianne Gauck versuchte im Rahmen der Vorladungen durch das MfS zu erreichen, dass der bisherige Reisestatus ihrer Schwester wiederhergestellt wurde. Für den Fall, dass das nicht geschehen sollte, drohte sie damit, ebenfalls einen Ausreiseantrag zu stellen. Vor jedem Treffen mit Stasioffizieren informierte sie ihren Bruder Joachim: »Wenn ich heute nicht
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