Gauck: Eine Biographie (German Edition)
gehörte auch das Werfen von Handgranatenattrappen im Sportunterricht. In »Tagen der Wehrbereitschaft« wurden die Schüler außerhalb ihrer Schulen in eigens dafür vorgesehenen Lagern zusammengezogen, um schießen zu lernen und sich mit der Gasmaske auf einen Gasangriff vorzubereiten. Die jüngste Tochter schließlich, Katharina, wurde, wie schon ihr Vater im Dritten Reich, bereits im Kindergartenalter mit Spielzeugpanzern konfrontiert und mit militärischen Liedern, mit denen die Kinder ganz selbstverständlich vor Soldaten der Nationalen Volksarmee auftraten. Panzer, Raketen und Kanonen zierten die Garderobenhaken und Tischkärtchen in den Kindergärten der DDR , deren Erziehungsprogramm vorsah: »Die Kinder sollen erfahren, dass es Menschen gibt, die unsere Feinde sind und gegen die wir kämpfen müssen, weil sie den Krieg wollen.«
Joachim Gauck war von der Militarisierung seines Landes geradezu angewidert. In Predigten wetterte er dagegen: »Die Kirche darf nicht zulassen, dass in der Schule der Militarismus eingeführt wird.« Ein anderes Mal forderte er, dass Kriegsspielzeug abgeschafft und auf die Erzeugung von Feindbildern verzichtet werden müsse. In gleicher Weise plädierte er dafür, dass der Staat soziale Friedensdienste als Alternative zum Wehrdienst anerkennen müsse. In der DDR gab es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, sondern als einzige Alternative zum Wehrdienst den Bausoldatendienst innerhalb der Nationalen Volksarmee. Die Bau 141 soldaten waren aber ihren militärischen Vorgesetzten zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet und militärisch voll in die Armee integriert.
Besonders unterstützte Gauck Jugendliche, die sich zur pazifistischen Aktion »Schwerter zu Pflugscharen« bekannten. Diese Protestbewegung hatte ihren Slogan aus der Bibel: »Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.« Inspiriert durch dieses biblische Motiv hatte der sowjetische Bildhauer Jewgenij Wutschetitsch Mitte der fünfziger Jahre die riesige Bronzeskulptur eines muskulösen Helden geschaffen, der ein Schwert zu einem Pflug umschmiedet. Die Plastik fand 1957 als Geschenk der Sowjetunion ihren Platz im Garten des UNO -Hauptgebäudes in New York. Ab 1980 wurde das Abbild des sowjetischen Kunstwerks, zusammen mit dem Schriftzug »Schwerter zur Pflugscharen« zum Symbol der größten oppositionellen Bewegung der DDR in der Zeit zwischen dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und der friedlichen Revolution 1989.
Das Abzeichen wurde als Aufnäher in großer Stückzahl produziert. Aufkleber waren genehmigungspflichtig. Aufnäher dagegen nicht, was es dem kirchennahen Produzenten möglich machte, diese herzustellen und zu liefern. Auf dem Höhepunkt der Bewegung trugen rund hunderttausend Menschen das Emblem auf ihrer Kleidung, auf Taschen und Mützen in Schulen und Betrieben, um damit ihre pazifistische Haltung öffentlich zu machen. Auch Joachim Gauck trug es zeitweilig, ebenso seine Tochter Gesine. Nach anfänglichem Zögern verbot die SED das Tragen des Symbols im November 1981. Wie immer wurde das Verbot mit der Androhung rigider Strafen, wie der Nichtzulassung 142 zum Abitur oder der Entfernung von der Universität, durchgesetzt. Der Rostocker Schüler Thomas Abraham, Mitglied in Joachim Gaucks Jugendgruppe, gehörte zu denen, die sich zunächst weigerten, den Aufnäher in der Schule abzunehmen. Als Folge musste er nach dem Abschluss der zehnten Klasse die Schule verlassen und eine Lehre antreten. Abraham erklärte später, dass Joachim Gauck ihm damals die Kraft und den Mut gegeben habe, die er für seinen Widerstand benötigt habe. Gauck sei in jenen schwierigen Tagen sein größter Rückhalt gewesen, »fast eine Art Ersatzvater«. Der Stadtjugendpastor resignierte nach dem erzwungenen Ende der Aktion. Ein IM hielt Gaucks Klage fest, »die Aktion ›Schwerter zu Pflugscharen‹ sei unterlaufen worden, da viele nicht fest genug dahintergestanden haben«. Immerhin, so Gauck, sei die Aktion öffentlichkeitswirksam gewesen und habe gezeigt, dass »›Minderheiten‹ Reaktionen des Staates bewirken können«. 143
Krisenjahre
Wir hatten damals ständig die Stasi im Haus und standen permanent unter Beobachtung. Als unser altes Haus abgerissen wurde, erzählten uns die Bauarbeiter, dass sie dort 13 Abhörwanzen gefunden hätten.
Hansi Gauck
Leiter des Kirchentages 1983
1982
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