Gauck: Eine Biographie (German Edition)
nur kurz, und in Bezug auf sein Wertesystem stand er schon damals dem bürgerlichen Lager näher als den Grün-Alternativen.
Die Kirchenreferenten
Zuständig für kirchliche Angelegenheiten waren auf regionaler und lokaler Ebene die sogenannten Referenten für Kirchenfragen bei den Räten der Bezirke und Städte. Sie waren offiziell die einzigen staatlichen Ansprechpartner für kirchliche Mitarbeiter. Auf Einladung der Kirchenreferenten kam es zu Gesprächen mit den Geistlichen, in deren Rahmen diese ihre Wünsche vorbringen konnten. Umgekehrt mussten sich die Geistlichen und sonstigen Kirchenmitarbeiter die Kritik der Staatspartei an ihrer Arbeit und ihrem persönlichen Verhalten anhören.
Die Referenten für Kirchenfragen sammelten umfangreiche Informationen über die Arbeit der Kirchen und legten Dossiers über die Pastoren in ihrem Verantwortungsbereich an. Sie registrierten die Namen von Kindern und Jugendlichen, die Freizeitangebote der evangelischen Kirche wahrnahmen. Sie hielten fest, welche Jugendlichen am Konfirmandenunterricht teilnahmen. Sie wussten, an welcher Schule »eine Konzentration christlicher Jugendlicher« festzustellen war und dass »ein Mitglied der FDJ -Leitung sich taufen lassen« wollte. Tagesordnungen kirchlicher Veranstaltungen bekamen sie regelmäßig vor den Teilnehmern zu Gesicht. Schließlich: Der Kirchenreferent war über Aus 136 landsreisen seiner Pastoren genauso informiert wie über ihre Besucher aus dem Ausland. In solchen Fällen erging von der zuständigen Behörde eine standardisierte »Information« an das Referat Kirchenfragen beim Rat der Stadt. Sie lautete in schönstem Behördendeutsch: »Information vom 2. 3. 81 Pastor Gauck, Joachim, geb. 24. 1. 40 wohnhaft Rostock […] Dienstlicher Kurzaufenthalt in Schweden«. Oder »Information vom 12. 5. 81 Gauck Joachim […] hat Einreise durch […]«
Aufgrund ihrer exklusiven Zuständigkeit und ihres umfangreichen Wissens über Kircheninterna waren die Referenten bei den Räten der Städte und Kreise von höchstem Interesse für das Ministerium für Staatssicherheit. Die meisten von ihnen waren als Inoffizielle Mitarbeiter des MfS tätig. Zuständig für Joachim Gauck und weitere vierzig Pastoren war beim Rat der Stadt Rostock von 1984 bis 1990 Manfred Manteuffel, der von der Stasi unter dem Decknamen IM »Scheeler« geführt wurde. Obwohl Atheist, war er bibelfest und besuchte regelmäßig Gottesdienste. Mal freundlich-jovial, mal mehr oder weniger drohend ließ er die Geistlichen wissen, was die SED von ihnen hielt und erwartete. Gelegentlich traf man sich auch zu »Gruppengesprächen« in entspannter Atmosphäre oder besuchte gemeinsam Betriebe oder Einrichtungen der Volksbildung. Anschließend schrieb Manteuffel dann ein Protokoll über den Ablauf der Veranstaltung für das MfS : So konnten angeblich »noch vorhandene Vorurteile bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft abgebaut werden und die Amtsträger aus einer von ihnen selbst gewählten Isolation herausgelöst werden«. Als Manteuffel 1990 vom neuen Rostocker Oberbürgermeister, Christoph Kleemann, entlassen wurde, hatte er in seinem Büro dreiundsechzig Aktenordner mit Informationen über die Kirchen 137 in Rostock und ihre Pastoren stehen. Der mit der Aufschrift Joachim Gauck wurde leer vorgefunden
Ende November 1984 hatte Manteuffel seinen Antrittsbesuch in Gaucks Arbeitszimmer in dessen Wohnhaus in der Rostocker Altstadt gemacht. Der Pastor empfing seinen Besucher nicht mit offenen Armen. »Ich möchte erst mal eine Frage beantwortet haben«, hob er gleich nach der Begrüßung an, »warum kommen Sie zu mir, Sie kommen doch vom Staat? Damit wir uns verstehen, ich bin Antikommunist!« Manteuffel war geplättet. »Das war das erste Mal, dass einer so etwas zu mir sagte.« Sein Urteil über Gauck: »Gauck war ein bisschen aufmüpfig und hatte einen großen Rand.« Gauck über Manteuffel: »Manteuffel war menschlich nicht unangenehm. Das eine oder andere Mal hat er Konflikte geschlichtet. Ich hatte keine Ahnung, dass der nicht nur für die Partei, sondern auch für die Stasi gearbeitet hat.« So wie ihre Beziehung begonnen hatte, endete sie auch. Als Gauck 1990 im Hotel Warnow seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, erschien auch Manteuffel, samt mundgeblasener Glasschale als Geschenk, zur Gratulation. Als Gauck den Mann vom Rat der Stadt auftauchen sah, dachte er: Was fällt dem Kerl denn ein, was will der hier? Auch seine Schwester
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