Gaunts Geister - Band 1-3
sehnlichster Wunsch. Aber er vertraute Oktars Sinn für
Anstand und Gerechtigkeit. Der Kommissar-General hatte ihn persönlich aus der
Kadettenklasse für den Dienst ausgewählt und war in den letzten achtzehn
Monaten beinahe so etwas wie ein Vater für Gaunt geworden. Vielleicht ein
strenger, rücksichtsloser Vater. Der Vater, den er nie wirklich gekannt hatte.
»Sehen Sie den brennenden
Flügel?«, hatte Oktar gesagt.
»Das ist ein Weg hinein. Die
Abtrünnigen sind mittlerweile längst auf dem Rückzug in die inneren Gemächer.
General Caernavar und ich schlagen vor, ein paar Trupps durch dieses Loch zu
schicken und ihre Zentrale auszuschalten. Sind Sie dieser Aufgabe gewachsen?«
Gaunt hatte der Atem gestockt,
und das Herz hatte ihm im Halse geschlagen. »Kommissar-General ... Sie wollen,
dass ich ...«
»... sie anführe, ja. Schauen
Sie nicht so schockiert drein, Ibram. Sie bitten mich andauernd um eine
Gelegenheit, Ihre Führungs-qualitäten unter Beweis zu stellen. Wen wollen Sie
mitnehmen?«
»Habe ich die freie Wahl?«
»Die haben Sie.«
»Männer von der vierten
Brigade. Tanhause ist ein guter Trupp-führer, und seine Männer sind
Spezialisten im Häuserkampf. Geben Sie mir die und Rychlinds Trupp
Schwerbewaffnete.«
»Eine gute Wahl, Ibram.
Beweisen Sie, dass meine Einschätzung stimmt.«
Sie ließen das Feuer hinter
sich und rückten in die mit Wandteppichen geschmückten langen Korridore vor, in
denen der Wind heulte und das Licht aus hohen Fenstern schräg einfiel.
Kadett Gaunt führte die Männer
persönlich, wie Oktar es getan hätte, das Lasergewehr fest in beiden Händen,
seine blau abgesetzte Kommissar-Kadetten-Uniform perfekt hergerichtet.
Im fünften Korridor traten die
Abtrünnigen zu ihrem allerletzten Gefecht an.
Laserstrahlen knisterten und
zuckten ihnen entgegen. Kadett Gaunt duckte sich hinter einem antiken Sofa, das
sich rasch in einen Haufen antiken Feuerholzes verwandelte. Tanhause tauchte
hinter ihm auf.
»Was nun?«, fragte der hagere,
sehnige hyrkanische Major.
»Geben Sie mir Granaten«, sagte
Gaunt.
Man brachte sie ihm. Gaunt nahm
sein Uniformkoppel und stellte an allen zwanzig Granaten den Zeitzünder ein.
»Rufen Sie Walthem«, sagte er
zu Tanhause.
Soldat Walthem kam. Gaunt
wusste, dass er in seinem Regiment berühmt für die Kraft seines Wurfs war.
Daheim auf Hyrkan war er Meister im Speerwerfen gewesen.
»Bringen Sie das dahin, wo es
sich lohnt«, sagte Gaunt.
Walthem warf den Granatgurt mit
einem leisen Grunzlaut.
Sechzig Schritte weiter löste
sich der Korridor auf.
Sie rückten durch Rauch und
Mörtelstaub vor. Der Mut hatte die Abtrünnigen verlassen. Sie fanden Degredd,
den Rebellenführer, tot und mit dem Lauf seines Lasergewehrs verschweißtem Mund
vor.
Gaunt meldete General Caernavar
und Kommissar-General Oktar, dass der Kampf vorbei war. Er trieb die Gefangenen
mit auf dem Kopf verschränkten Händen aus dem Palast, während sich die
hyrkanischen Truppen daranmachten, Geschützstellungen auseinanderzunehmen und
Munitionsdepots auszuräumen.
»Was sollen wir mit ihr
machen?«, fragte ihn Tanhause. Gaunt ließ von dem Sturmgeschütz ab, dessen
Schlagbolzen er gerade entfernte.
Das Mädchen war reizend,
weißhäutig und schwarzhaarig wie die meisten Darendarer. Sie versuchte die
Hände der hyrkanischen Soldaten zu zerkratzen, die sie und andere Gefangene
durch den zugigen Korridor scheuchten.
Als sie Gaunt sah, blieb sie
wie angewurzelt stehen. Er rechnete mit Gift und Galle, Wut und verbalen
Beleidigungen, eine häufige Reaktion bei jenen, die besiegt und gefangen
genommen wurden und deren Überzeugung und Anliegen sich zerschlagen hatten.
Doch was er in ihrer Miene sah,
ließ ihn vor Überraschung erstarren. Ihre Augen waren glasig, tiefgründig und
wie polierter Marmor. Ihr Gesicht hatte einen ganz bestimmten Ausdruck, als sie
ihn anstarrte. Gaunt schauderte, als ihm klar wurde, dass es ein Ausdruck des
Wiedererkennens war.
»Es werden sieben sein«, sagte
sie plötzlich. Sie sprach ein überraschend perfektes Hochgothisch ohne eine
Spur des hiesigen Akzents. Die Stimme schien nicht ihr zu gehören. Sie war
guttural, und die Worte schienen nicht zu ihren Lippenbewegungen zu passen.
»Sieben Steine der Macht. Unterbreche sie, und du wirst frei sein. Zerstöre sie
nicht. Aber zuerst musst du deine Geister finden.«
»Genug von deinem Wahnsinn!«,
schnauzte Tanhause und befahl den Männern dann, sie wegzubringen. Der Blick des
Mädchens war
Weitere Kostenlose Bücher