Gauß: Eine Biographie (German Edition)
in Sauerstoffgas» [Ger: 329]. Ein ähnlich erhebendes Gefühl muss Gaußens zweiter Sohn Eugen erlebt haben, als er vom Internat in Celle nach Göttingen zurückkehrt, um dort sein Jurastudium aufzunehmen.
Eine chronisch kranke Mutter sowie ein im Sommer abwesender und im Winter mit weltbewegenden Rechnungen beschäftigter Vater haben dem hitzköpfigen Eugen nicht die Liebe und Aufmerksamkeit schenken können, die er gebraucht hätte, um sich zu einem pflegeleichten Kind wie Minna oder Joseph zu entwickeln. Er gilt als begabt. Seine Mutter wirft ihm allerdings «Baseligkeit» und Leichtsinn vor. Dass der Achtzehnjährige nach vier Jahren Internatsleben fern vom Elternhaus die köstliche Freiheit des Studentenlebens in vollen Zügen genießt und dabei gelegentlich über die Stränge schlägt, scheint nur allzu verständlich. Ein unübersehbarer Schmiss auf der Wange zeugt von seiner Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung. Die große Schwester Minna schreibt an Bruder Joseph: «Es ist schade um den Jungen, daß er so ein arrogantes Wesen angenommen hat, von Herzen ist er wirklich gut» [Grd 2 : 28]. Bald gerät Eugen in den Strudel von Trinkgelagen und Spielschulden. Und der legendär sparsame Vater, dem Zeitgenossen «eine fast an Cynismus gränzende Sparsamkeit» [Dik 1 : 46] attestieren, wird sich ausgerechnet bei der Zuteilung des Taschengelds nicht unbedingt großzügig zeigen. Im August 1830 schreibt Universitätsrichter Georg Heinrich Oesterley einen Brief an Carl Friedrich Gauß. Die Studenten der Universität Göttingen unterliegen einer eigenen Gerichtsbarkeit. Rechtsstreitigkeiten werden nicht vor einem Zivilgericht, sondern universitätsintern geregelt. Eugen hat sich mit einem Kommilitonen angelegt, und Oesterley hat den Streit geschlichtet, so dass er nun ohne weitere Strafe gänzlich beigelegt ist. «Das Gericht hat indessen diese Gelegenheit ergriffen, Ihren Herrn Sohn auf das ernstlichste zu warnen und zu einem regelmäßigen Leben aufzufordern, welches er auch zu beachten gelobt hat. Mit Vertrauen hege ich die frohe Hoffnung, dass er fortan Ihnen nur Freude machen wird» [Grd 2 : 30].
Und nun? Große Erleichterung auf allen Etagen der Sternwarte über den glimpflichen Ausgang der Affäre? Feierstimmung im Hause Gauß? Im Gegenteil. Mit Eugens Abmahnung vor Gericht hat er die Namen Gauß und Waldeck «entehrt» und Schande über die Familie gebracht. Es kommt zu einer schicksalhaften Auseinandersetzung zwischen den Eltern und Eugen, über deren Einzelheiten nichts nach außen dringt. Schumacher erhält kurze Zeit später einen konfusen Brief von Gauß und berichtet Bessel, Eugen sei «nach Sachen, die ihm jede Rückkunft unmöglich machen, weggelaufen, um nach Amerika zu gehen … Der Brief ist in solcher heftigen Gemüthsbewegung geschrieben, dass ich nicht einmal herausbringen kann, was er will, das ich hier thun soll. Keine Spur von seiner gewöhnlichen Präcision und Ordnung» [Grd 3 : 58]. Der Brief selbst ist verschollen. Vermutlich hat Schumacher ihn später auf Wunsch des Freundes vernichtet. Auch ein entsprechender Brief an Olbers ist spurlos verschwunden.
Ein paar Tage später taucht Eugen in Nienburg an der Weser auf. Gauß bringt ihn in Bremen bei Olbers’ Schwiegersohn, Dr. Christian Focke, unter und regelt die Formalitäten für die Auswanderung. Der bewunderungswürdig hilfreiche Focke verspricht, Eugen bei der ersten sich bietenden Gelegenheit auf ein Schiff nach Nordamerika zu bringen. Gauß selbst stellt später die Angelegenheit so dar, als sei es Eugens ureigenste Reaktion auf den Familienkrach gewesen, nach Amerika auswandern zu wollen. Aus eigenen Äußerungen und denen der Mutter geht allerdings hervor, dass sie ihm die Auswanderung – vorsichtig formuliert – nahegelegt haben. Gauß schreibt an Schumacher, nachdem er Eugen bei Focke abgeliefert hat: «Er ist nicht ganz so tief gesunken, wie Sie aus meinem Briefe schließen konnten; allein seine Existenz in Europa ist verscherzt» [GauXII: 264]. Und Tochter Minna schreibt dem Vater im Auftrag der Mutter, deren Gesundheitszustand sich nach der Aufregung verschlimmert hat, nach Bremen hinterher: «… [Sie bittet] Dich nochmals dringend, Eugen recht scharf einzuprägen, er dürfe nicht hierher zurückkehren, es möge ihm in Amerika glücken oder nicht. Mutter ängstigt sich mit den schrecklichsten Bildern; daß er in Amerika seine schlechte Lebensweise fortsetzte und wenn er alles durchgebracht, ehe wir uns
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