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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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quälen den scharfsinnigen Beobachter die Messungen. «Diskordanzen wie sonst nirgends machen mich ganz irre», berichtet er Schumacher [ShuII: 25]. Zwar behindern auch starke Stürme und wallendes Licht die Arbeit. Eine bedeutendere Fehlerquelle als diese ungünstigen Witterungsbedingungen findet Gauß jedoch erneut in der Wechselwirkung zwischen menschlichem Beobachter und Beobachtungsinstrument. Es geht um die Genauigkeit des «Pointierens» auf Heliotroplicht. Nahezu am Ende der fünfjährigen Kampagne quält ihn nun die Frage, ob er auf das Intervall zwischen zwei Fäden oder auf einen der Fäden direkt zielen soll. Der Unterschied könne immerhin zwei bis drei Winkelsekunden ausmachen. «Man ist sich also wohl, wenn auch nicht deutlich bewusst, dass das Licht seitwärts von der Mitte ist, und tut, um dies zu berichtigen, mehr als man sollte» [Olb2: 421]. Wieder zerlegt der Perfektionist seine Instrumente in alle Einzelteile, säubert sie und setzt sie wieder zusammen. An welcher Schnittstelle lauert der nächste Fehler? Zuletzt gerät ihm in Langwarden doch noch die Kirchturmspitze auf der Insel Wangerooge ins Visier, und Mitte Juli ist das Dreieck Jever – Varel – Langewarden «glücklich geschlossen». Damit ist auch der Anschluss an das holländische Triangulationssystem geschafft. Der Kampf gegen Moorbrand und gegen Bäume, die der geraden Linie im Weg stehen, ist vorbei. Die Strapazen wegen holpriger Sandwege, schwüler Hitze, endlosem Nebel und schlechter Quartiere sind ausgestanden. Das große Werk ist vollendet. Zum glücklichen Abschluss erlebt er in Varel eine Luftspiegelung. Gauß hat den Eindruck, als schwebe ein Schiff auf offener See, ganz vom Meereshorizont getrennt, in der Luft.
    Sein Fazit aber beginnt weniger schwerelos: «Ich sehe nicht ohne Mismuth auf meine 5jährigen Messungen zurück» [Olb2: 424]. Woher rührt diese Unzufriedenheit? So genau und kreativ wie er hat noch niemand zuvor trianguliert. Er vergleicht seine Stimmung mit der Bestandsaufnahme, die ein alter Mensch am Ende seines Lebens macht und zu dem Schluss gelangt, er wäre mit größerer Zufriedenheit durchs Leben gegangen, wenn ihm seine reifen Erkenntnisse nur früher zuteilgeworden wären und er entsprechend hätte handeln können.
    In einem späteren Rückblick für den Schüler und Kollegen Gerling ist dann aber doch noch Gelassenheit eingekehrt. Zunächst erinnert sich Gauß an die Freude, die ihm stets die Entdeckung eines neuen Dreieckspunktes gemacht hat. Und dann schreibt er tatsächlich: «Vor Gott ist’s am Ende auch wohl einerlei, ob wir die Lage eines Kirchturms auf einen Fuß oder die eines Sterns auf eine Sekunde bestimmt haben» [Wor: 90]. Sein Netz hat 32 Punkte, 51 Dreiecke und 146 Richtungen. Die am buchstäblich letzten Dreieck erkannten Fehlerquellen will er bei den Ausgleichsrechnungen nach der Methode der kleinsten Quadrate berücksichtigen. Seine späteren Veröffentlichungen über Theorie und Praxis der Triangulation stellen die Vermessungstechnik auf ein neues wissenschaftliches Fundament. Insbesondere aber hat seine Theorie der gekrümmten Flächen, über der er seit zehn Jahren brütet, durch die geodätische Arbeit entscheidende Impulse bekommen. Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts wird sie Albert Einstein die mathematische Grundlage für eine Revolution unseres Weltbilds liefern.
    Im Spätsommer 1825 begleitet Gauß seine Frau auf eine Bäderkur, die über Marburg und Mannheim nach Baden-Baden geht. Dabei lässt er es sich nicht nehmen, auf Stippvisiten Gerling, Lindenau und weiteren Kollegen beim Vermessen über die Schulter zu schauen. Mit Befriedigung stellt er fest, dass auch in Süddeutschland schon viele Heliotrope im Einsatz sind. Die Hitze setzt ihm zu, und auch Minnas Zustand verbessert sich durch die Kur nicht wirklich. Im Winter erkranken die drei jüngsten Kinder Eugen, Wilhelm und Therese an den Masern. Die nach zwei Jahren Krankheit ernsthaft geschwächte Minna steckt sich bei ihnen an und gerät erneut in ein kritisches Stadium. Die 18-jährige Minna pflegt, so gut es geht, die Stiefmutter. Die uralte Großmutter Gauß wird kaum im Haushalt helfen können. Sie muss selbst an die Hand genommen werden, da sie fast blind ist. Der älteste Sohn Joseph ist inzwischen als Kadett in den Militärdienst getreten. Das Vorbild der Soldaten Müller und Hartmann, mit denen er von Anfang an auf Vermessungstour gewesen ist, hat diesen Wunsch in ihm reifen lassen. Der Vater hat die

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