Gauß: Eine Biographie (German Edition)
Bewerbung des pflegeleichten Erstgeborenen unterstützt und ihn nicht gezwungen, ein Studium zu absolvieren.
Ein halbes Jahr später wird die häusliche Situation für die Kinder unhaltbar. Gauß gibt den vierzehnjährigen Eugen in ein Internat in Celle, weit genug weg von Göttingen, sodass er höchstens in den Ferien nach Hause kommen kann. Zweifellos werden alle Kinder unter der fehlenden Nestwärme leiden, aber Eugen wird zum ersten wirklichen Opfer der häuslichen Misere. Aus Celle schreibt er rührende Briefe in lateinischer Sprache nach Hause, will den Vater beeindrucken, bettelt um Liebe und Aufmerksamkeit. Schon bald folgt auch Wilhelm seinem zwei Jahre älteren Bruder auf dasselbe Internat.
Georg IV., König von England und Hannover, ordnet im Frühjahr 1828 die weitere Vermessung des Königreichs Hannover an. Dieses Mal geht es nicht um Erkenntnisse über die Erdgestalt, sondern um die weitere Differenzierung der von Gauß geschaffenen Triangulationspunkte für die Katasterämter und Landkarten. Die hannoversche Landvermessung wird sich bis zum Abschluss aller Berechnungen bis 1844 hinziehen. Allerdings muss Gauß selbst nicht mehr durch die Landschaft ziehen. Sohn Joseph und ein Offiziersstab leiten die Vermessungen. Gauß reitet nur hin und wieder zu einem Dreieckspunkt, um sich ein Bild zu machen oder um Informationen auszutauschen. Die Berechnungen kann er zu Hause erledigen. Er sagt später, er habe bis 1844 dafür schätzungsweise eine Million Kalkulationen im Kopf bewältigt.
Alexander von Humboldt: lebende Legende, begnadeter Naturforscher mit umfassender Bildung, leidenschaftlicher Sammler von Pflanzen und Fossilien, unermüdlicher Weltreisender mit einer Mission. Er ist «der zweite, wissenschaftliche Entdecker Amerikas» [Bim 2 : 7], ein moderner Kolumbus des Sextanten und der Magnetnadeln. Keiner, der für einen goldgierigen König einen neuen Erdteil erobern will, sondern der die Wissenschaft der Geographie zu seiner Königin erklärt hat. Er kommt nach Südamerika, um in der dünnen Luft der Andengipfel seine Ortsbestimmungen zu vervollständigen, astronomische Beobachtungen zu machen, Temperaturunterschiede zu bestimmen, die Magnetnadel tanzen zu lassen und den Amazonas zu befahren. Als Gauß in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts seine Arithmetischen Untersuchungen ins Reine schreibt, mit der Berechnung der Ceresbahn zum wichtigsten theoretischen Astronomen avanciert und seiner Johanna zum ersten Mal begegnet, schlagen sich Humboldt und sein Begleiter Aimé Bonpland fünf Jahre lang mit nicht weniger als 50 verschiedenen Messgeräten «und schändlich stinkenden Fußgeschwüren» [Hum: 85] durch die südamerikanische Wildnis, trotzen der Hitze, Moskitoschwärmen, die die Sonne verfinstern, unaussprechlichen Krankheiten, feindseligen Ureinwohnern und den eigenen geschundenen Knochen, die sich nach Erlösung von den Strapazen sehnen. Mit grenzenloser Begeisterungsfähigkeit, unfassbarer körperlicher Widerstandskraft und einer Datensammelwut, vor der sogar Gauß das Samtkäppchen ziehen würde, schreiben die beiden Naturforscher Wissenschaftsgeschichte. Das Material reicht aus, um Humboldt für den Rest seines Lebens mit der Auswertung auf Trab zu halten.
Der Sohn eines preußischen Offiziers hat viele Jahre in Paris gelebt und kennt die Loblieder von Laplace und Legendre auf das Universalgenie Carl Friedrich Gauß. Mit Verve hat er die zweimaligen Bemühungen seines Bruders Wilhelm unterstützt, den großen Mathematiker aus der südhannoverschen Provinz in die preußische Hauptstadt zu holen. Er ist überzeugt, dass Gauß der Königlichen Akademie der Wissenschaften den Glanz verleihen würde, den er selbst in Berlin noch vermisst. Im Frühjahr 1826 lernen Gauß und Humboldt sich persönlich in Göttingen kennen und schätzen. Zweifellos wird ihm Humboldt seine Unterstützung auch für einen dritten Versuch zugesagt haben. Dass die jahrelangen Verhandlungen an ein paar hundert Talern gescheitert sind, findet er typisch deutsch, erbärmlich und «ekelhaft». Die Akademie nennt er «ein Hospital, in dem die Kranken besser schlafen als die Gesunden» [Bim 1 : 9]. Im Juli 1828 schickt Humboldt ihm eine Einladung zur Versammlung der deutschen und skandinavischen Naturforscher und Ärzte, die im September unter seiner Leitung in Berlin stattfinden soll. Er bietet ihm sogar an, in seinem Haus zu wohnen. Gauß ziert sich noch, sei unabkömmlich wegen der Krankheit seiner Frau und
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