Gauß: Eine Biographie (German Edition)
versähen, hier erschiene» [Grd 2 : 31].
Alles, was er durchbringen kann, sind 150 Mark in Gold, die ihm der Vater mit auf den Weg nach Amerika gibt. Nach diesen beiden eindeutigen Aussagen der Eltern vor der Abfahrt eines Schiffs aus dem Bremer Hafen hat Eugen ja gar keine andere Wahl. Der Vater will ihn auf dem ganzen Kontinent nicht mehr sehen, während die Mutter ihm ausdrücklich die Rückkehr nach Hause verbietet. Eugen ist von seinen Eltern glatt verstoßen worden. Alttestamentarisch. Gnadenlos. Ohne Hoffnung auf Heimkehr. Nicht einmal bei «tätiger Reue» und einem den Eltern gefälligen Lebenswandel. Und weswegen? Wegen einer Verwarnung vor dem Universitätsgericht? Wegen ein paar Goldstücken Spielschulden? Wegen eines Festmahls, das er Freunden spendiert hat und die Rechnung an seinen Vater schicken ließ, wie ein amerikanischer Essayist zu wissen glaubt?
Am 29. September 1830 schifft Eugen Gauß sich ein. In Amerika kennt er niemanden. Und so dauert es natürlich nicht lange, bis das äußerst knapp bemessene Handgeld ausgegeben ist. Um zu überleben, lässt er sich als Soldat anwerben und verpflichtet sich auf fünf Jahre. Schon bald schreibt er einen verzweifelten Brief, in dem er seinen Vater inständig bittet, ihn aus der Armee freizukaufen und ihm ein Studium zu ermöglichen. Er sei nun geläutert und werde alles tun, was der Vater befehle. Olbers und Schumacher halten sich hier auffällig vornehm mit Ratschlägen zurück. Doch Gauß mag, wie stets in heiklen Situationen, allein keine Entscheidung treffen, hört auf den Rat von Gerling und bleibt hart. Gerling meint, Eugen solle «sich die Fähigkeiten und Handgriffe seines neuen Standes wohl und gründlich aneignen, seine anderweitigen Geschicklichkeiten im Schreiben, Rechnen und Sprechen zunutze machen, um sich seinen Offizieren nützlich zu machen, um bald möglichst zum Unteroffizier zu avancieren» [Grd 1 : 25]. Gauß ist überzeugt, das Militär sei das einzig wirksame «Besserungsmittel» für den auf fremde Kosten lebenden «Tagedieb», dem er kein Vater mehr sein könne. Die Vorstellung, der «Taugenichts» käme zurück nach Europa, verursache ihm «Seelenangst». Es wäre sein sicherer «geistiger Tod» [Olb2: 578 f.].
Am 12. September 1831, gut ein Jahr nach dem Eklat mit Eugen, stirbt Wilhelmine Gauß nach achtjähriger schwerer Krankheit. Aus den Zeilen, die Gauß an Olbers schickt, spricht daher auch Erleichterung: «Ach wie lange und hart hat die arme Dulderin gedrückt werden müssen, bis ihr Herz brechen konnte. Endlich ist es gebrochen. Am 12. Abends ist sie von dem Jammer des Lebens geschieden» [Olb2: 573]. Gauß geht nicht so weit, Eugen als Sargnagel zu bezeichnen. Er drückt sich subtiler aus: «Seine Mutter, deren Leiden in dem letzten Jahre durch den Schmerz über einen so missrathenen Sohn so grausam und mehr, als ich hier sagen kann, geschärft sind, hat ihn … enterbt» [Olb2: 576]. Mit der Option, frühestens ab 1838 die Zinsen seines mütterlichen Erbteils genießen zu können, aber nur, sofern es «Beweise seiner Besserung» gäbe. Fünf Jahre später dürfe er dann auch über das Kapital selbst verfügen. Aus Angst, der verlorene Sohn könne so «entartet» sein und das Testament anfechten, um wenigstens seinen Pflichtteil sofort zu erstreiten, verschweigt er ihm monatelang den Tod der Mutter. Seinem neuen Vertrauten Gerling schreibt er: «Unbeschreiblich niedergebeugt fühle ich mich durch all die Stürme, die mich seit eineinhalb Jahren getroffen und an meinem innersten Lebensmark gezehrt haben. Lebensfreudigkeit und Lebensmut waren schon lange von mir gewichen, und ich weiss nicht, ob sie je wiederkehren werden. Was mich so schwer drückt, ist das Verhältnis zu dem Taugenichts in Amerika, der meinen Namen entehrt» [Ger: 377].
11. Wissen vor Meinen, Sein vor Scheinen
Doch es gibt einen Lichtblick. Wilhelm Weber aus Halle, den er auf der Naturforschertagung 1828 in Berlin kennengelernt hat, ist auf den frei gewordenen Göttinger Lehrstuhl für Physik berufen worden. Gauß hat sich persönlich dafür eingesetzt. Weber wird Nachfolger des im November 1830 gestorbenen Physikers Tobias Mayer, des Jüngeren. Zufällig trifft Weber nach einem 250 Kilometer langen Fußmarsch am selben Tag in Göttingen ein, als Minna Gauß stirbt. Sogar Gauß selbst betrachtet diese merkwürdige Koinzidenz der Ereignisse offenbar als Zeichen für eine Wende. Seine leidgeprüfte Frau ist tot, und den in geistiger Hinsicht
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