Gauß: Eine Biographie (German Edition)
vielversprechendsten Sohn wird er nie wiedersehen. Die beiden Hauptfaktoren der Sorge und Betrübnis haben sich aus der Gleichung seines Lebens herausgekürzt. Eine besondere geistige Anziehungskraft, ein nicht messbarer zwischenmenschlicher Magnetismus scheint da plötzlich ins Spiel zu kommen. Denn mit Webers Ankunft setzt schon bald ein vielversprechender Neuanfang ein. Zunächst mit vergnüglichen Tanzstunden für Magnetnadeln. Der ideensprühende, tatkräftige Neuankömmling rückt Gauß die Physik stärker ins Blickfeld und steckt ihn mit seiner Begeisterung für die Erforschung des Magnetismus an. Ein Jahr später jubelt er als väterlicher Freund und seelenverwandter Kollege Wilhelm Webers: «Meine magnetischen Apparate habe ich erst ganz seit Kürze mit dem Galvanismus [Elektrizität] in Verbindung zu setzen angefangen, ein für mich noch fast ganz neues Feld, wo sich aber eine unabsehbare Aussicht zu neuen Versuchen öffnet. Sie können sich keine schönere Art zum Messen des galvanischen Stromes denken wie mit meinen Apparaten» [Ger: 402].
Spätestens seit 1820 wissen die Physiker, dass es Wechselwirkungen zwischen Elektrizität und Magnetismus gibt. In diesem Jahr nämlich entdeckt der dänische Physiker Hans Christian Ørsted während eines Experiments den Ausschlag einer Magnetnadel in der Nähe eines stromdurchflossenen Drahtes. Mit dieser einfachen Versuchsanordnung beweist er, dass elektrischer Strom ein Magnetfeld erzeugt. Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die Richtung des Stroms auch die Richtung bestimmt, in der die Magnetnadel ausschlägt. Nach dieser fundamentalen Einsicht in den Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus liegt die nächste Frage auf der Hand: Lässt sich diese Wirkung umkehren und die magnetische Kraft auch in Elektrizität verwandeln? Erstaunlicherweise dauert es elf Jahre, bis der englische Physiker und Chemiker Michael Faraday, ein begnadeter Autodidakt und Popularisierer der Naturwissenschaften, den Durchbruch schafft. Vierzehn Tage vor Webers Ankunft in Göttingen gelingt ihm endlich der Nachweis, dass die elektromagnetische Wechselwirkung keine Einbahnstraße ist. Faraday wickelt Draht um ein Eisenrohr, verbindet die Drahtenden mit seinem Messgerät und schiebt einen Stabmagneten durch das Rohr. Solange er den Magneten in Bewegung hält, fließt auch tatsächlich ein elektrischer Strom. Als wesentliche Voraussetzung dafür gilt allerdings: Die Magnetquelle muss in Bewegung sein. Wenn das Magnetfeld ruht, fließt auch kein Strom. Faraday nennt dieses Naturgesetz «elektromagnetische Induktion», weil ein elektrischer Strom induziert, also hervorgerufen wird.
Und so rückt im Herbst 1831 das um eine faszinierende Facette erweiterte Phänomen des Elektromagnetismus in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Die vereinte Kreativität von Gauß und Weber wird schon nach eineinhalb Jahren Zusammenarbeit einen spektakulären Apparat hervorbringen, mit dem das elektromagnetische Kommunikationszeitalter beginnen wird. Zunächst aber gilt es, dem Phänomen des Erdmagnetismus eine mathematische Struktur zu geben und Begriffe wie die Schwingungsdauer der Magnetnadel neu zu definieren. Unklarheiten, Halbwissen und Reste mesmerischer Missverständnisse müssen aus diesem Wissensbereich getilgt werden. In den Händen von Carl Friedrich Gauß verwandelt sich Erdmagnetismusforschung in eine ernstzunehmende Wissenschaft.
Wie lange sich Seefahrer aus allen Kontinenten schon auf die Kompassnadel als richtungsweisendes Navigationsinstrument verlassen, bleibt umstritten. Möglicherweise ist die Magnetsteinspitze in China schon seit viereinhalbtausend Jahren im Einsatz. Während Nordpol und Südpol am jeweiligen Ende der Erdrotationsachse liegen, sind die geomagnetischen Pole die Endpunkte einer anderen hypothetischen Achse, die man sich in einem Winkel von 11,5 Grad zur Erdachse vorstellen muss. An den Enden dieser Achse tauchen die Feldlinien des Erdmagnetfeldes senkrecht in die Erde ein. Der arktische Magnetpol ist also nicht mit dem geographischen Nordpol identisch. Entsprechend weicht also auch die Kompassnadel von der Nordrichtung ab. Außerdem beeinflussen die an jedem Punkt der Erde unterschiedlichen geologischen Verhältnisse die magnetischen Feldlinien. Über einer Eisenerzgrube in der Bergbaustadt Clausthal im Harz misst man eine andere Magnetfeldstärke als in der Sanddünenlandschaft auf der Insel Wangerooge. Auch durch diese unterschiedlichen
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