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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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örtlichen Umstände wird die Magnetnadel von der Nordrichtung abgelenkt.
    «Vor Gauß konnte man zwar schon die Richtung des Feldes bestimmen, seine Stärke jedoch nur relativ zu bestimmten Observatorien, wie dies auch Alexander Humboldt auf seiner großen Mittel- und Südamerikareise getan hat» [Sie: 42]. Humboldt hat dabei eine allmähliche Abnahme der Magnetfeldintensität vom magnetischen Äquator der Erde zu den Magnetpolen festgestellt. Bei der herkömmlichen Messmethode versteht es sich von selbst, dass das Verfahren nur dann zuverlässige Ergebnisse liefert, wenn immer dieselbe Nadel aus gutgehärtetem Stahl benutzt wird. Sie musss sorgfältig aufbewahrt werden und darf nicht zu lange im Einsatz sein. Anderenfalls könnte sich ihr magnetischer Zustand ändern.

    Gauß entwickelt nun ein neues Messverfahren, das von diesen Unsicherheitsfaktoren unabhängig ist. Zuerst hat er eine neue Vorstellung von der Schwingungsdauer einer Magnetnadel. Bisher ist es üblich gewesen, den Beginn einer Schwingung von der Stelle des größten Ausschlags der Nadel zu zählen. Gauß definiert den Punkt der größten Geschwindigkeit als den Anfangspunkt einer Schwingung. Im Gegensatz zur bisherigen relativen Messung der Magnetfeldstärke entwirft er eine rechnerische Methode zur «Absolutmessung». Diese Bestimmung ist ortsunabhängig. Zu diesem Zweck führt er das kombinierte Einheitensystem Masse, Länge und Zeit ein. Wenn er daher nach vielen Messreihen von Mai bis Oktober 1832 erstmals die Magnetfeldintensität des Standortes Sternwarte Göttingen mit 10 verschiedenen Werten zwischen 1,7625 und 1,7965 angibt, dann ist diese Zahl zusammengesetzt aus den Maßen Milligramm, Sekunde und Millimeter. Mit diesem neuen mechanischen Absolutmessverfahren für eine nicht-mechanische Kraft lassen sich von nun an überall auf der Welt unter gleichen Bedingungen Werte erzielen, die man miteinander vergleichen kann. Das Verfahren setzt sich in der Physik des 19. und 20. Jahrhunderts – später um eine Zehnerpotenz auf Zentimeter, Gramm und Sekunde erhöht – als CGS-System (centimeters, grams, seconds) durch.
    Die Intensität des Erdmagnetismus ist dem Quadrat der Schwingungsdauer ein und derselben Nadel umgekehrt proportional. Darüber hinaus ist sie erheblichen Schwankungen unterworfen. Das gilt für jeden Ort und für größere Zeiträume wie Jahre und Jahrhunderte. Aber auch schon zwischen einer Intensitätsmessung am Vormittag und Nachmittag desselben Tages können messbare Unterschiede auftreten. Diese kurz- und langfristigen Variationen sollen jetzt genauer beobachtet werden. Wie sieht nun das Magnetometer aus, von dem Gauß mit so kindlicher Begeisterung schwärmt, dass seine Freunde den Eindruck haben, ein gewaltiger Elektromagnet habe ihn buchstäblich aus dem Sumpf seiner Depression herausgezogen?
    Einige dieser Nadeln sind inzwischen schon so groß und schwer, dass Gauß sie kaum noch mit diesem Begriff bezeichnen möchte. Mit ihrem Gewicht von mehreren Pfund und einer Länge von fünfzig Zentimetern sind es schon eher prismatische Stäbe. Und so eine Supernadel hängt also frei schwebend an dem sprichwörtlichen seidenen Faden von siebzig Zentimetern Länge unter der Decke in einem Saal der Sternwarte. Je schwerer die Magnetnadel ist, desto weniger störend wird sich der nie ganz zu vermeidende Luftzug im Gebäude auf die Masse auswirken.
    Aus etwa fünf Metern Abstand peilt er über das Fernrohr eines Theodoliten einen Planspiegel an, der am Ende der Nadel befestigt ist. Bei zu großer körperlicher Nähe zur Magnetnadel fürchtet er den verzerrenden Einfluss von Körperwärme auf die Messungen. Nebenbei dürfte es kaum überraschen, dass es in dieser Messanordnung ein Wiedersehen mit den wichtigsten Elementen seines Heliotropen gibt. Eine horizontale Millimeterskala ist am Stativ des Theodoliten befestigt und bildet einen rechten Winkel zum magnetischen Meridian. Der mit einem Gewicht beschwerte und von der Mitte des Objektivs herabhängende Goldfaden markiert den Nullpunkt der Ablesevorrichtung in diesem sensibel arrangierten Nadel-und-Faden-System.
    Ganz gewöhnlicher Bindfaden spielt im Frühjahr 1833 eine wichtige Rolle, als die magnetischen Experimente von Gauß und Weber in eine Phase eintreten, die Zeitgenossen anfangs wohl als «verrückt» bezeichnet haben mögen, die die Wissenschaftler selbst jedoch vermutlich nur konsequent finden. Die Göttinger Bürger staunen nicht schlecht, als sie an jedem einigermaßen

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