Gauß: Eine Biographie (German Edition)
«unmöglichen» Gasriesen Uranus zu entdecken und damit die überschaubare Größe des Hegel’-schen Universums auf einen Schlag zu verdoppeln.
Gauß bestätigt in seiner Dissertation erstmals mit einem strengen Beweis die Vermutung, dass sich jede beliebige algebraische Gleichung mit Kompositionen aus reellen und imaginären Zahlen, also mit komplexen Zahlen, lösen lässt. Damit verhilft er der skeptisch bewerteten Idee der komplexen Zahlen zu mehr Anerkennung im Lager der argwöhnischen Kollegen. Am 16. Juli 1799 wird ihm die philosophische Doktorwürde der Helmstedter Julia Carolina verliehen, die mündliche Prüfung auf Antrag erlassen. Der selbstbewusste Doktorand ist froh, dass ihm die «Harlequinade» der Verteidigung seiner These vor einer Versammlung überforderter Provinzgelehrter erspart bleibt. Die noch im Winter Bolyai gegenüber geäußerte Befürchtung, keinen Teilerlass des «Honorariums» von 40 Talern für die Universität zu bekommen, hat sich zwar bestätigt, aber Gauß braucht selbst keinen Groschen davon zu zahlen. Wieder einmal erwirkt Zimmermann, dass der Herzog die Kosten übernimmt, während Doktorvater Johann Friedrich Pfaff im Briefwechsel mit Zimmermann sogar die Bereitschaft äußert, zugunsten des Doktoranden auf seinen bescheidenen Anteil am Honorar – 2 Taler 12 Groschen – zu verzichten. Carl Wilhelm Ferdinand lässt die 40 Taler auf der Stelle nach Helmstedt schaffen, worauf der Dekan der Universität, Hofrat Schulze, erleichtert ist, nicht leer auszugehen: «Es ist wirklich sehr angenehm, dass die philosophische Fakultät jetzt nicht mehr so behandelt wird wie ehemals, wo sie, wenn der Hof einen Candidaten begünstigen wollte, Befehl erhielt, das Diplom umsonst auszufertigen» [Hän: 46]. Kein Wunder: Dem Dekan steht allein die Hälfte der 40 Taler zu.
Und was macht der frischgebackene Doktor der Philosophie? Er will natürlich keine Zeit verschwenden und die Arithmetischen Untersuchungen zu Ende bringen. Den Jahreswechsel zum neunzehnten Jahrhundert erlebt er bei Professor Pfaff in Helmstedt, den der berühmte französische Astronom und Mathematiker, Pierre Simon de Laplace, für den besten deutschen Mathematiker hält. Gauß wohnt in Pfaffs Haus, benutzt seine Bücher. Die Stadt findet er «affreux» (scheußlich), den Ton der Studenten «roh», die Professoren «artig». Den zwölf Jahre älteren Pfaff charakterisiert er «als einen trefflichen Geometer … guten Menschen und meinen warmen Freund; ein Mann von einem arglosen kindlichen Charakter, ohne all die Leidenschaften, die den Menschen so sehr entehren und bei Gelehrten so gewöhnlich sind» [Bol: 36]. Die Zeit verfliegt mit anregenden Gesprächen, wobei beiden Partnern unausgesprochen klar ist, dass es nicht unbedingt der Jüngere ist, der am meisten davon profitiert.
Erst zum Osterfest 1800 kehrt Gauß nach Braunschweig zurück. Nicht allein die Saumseligkeit des Druckers zögert die Veröffentlichung der Untersuchungen immer weiter hinaus. Auch der Autor selbst gerät zunehmend in Bedrängnis, seinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Lange feilt er am achten und umfangreichsten Abschnitt, der den Rahmen der Arbeit zu sprengen droht. Nach langer Unentschlossenheit lässt Gauß diesen Abschnitt vorerst beiseite, um die Druckkosten nicht weiter in die Höhe zu treiben. Es wäre ihm unangenehm, die «Munificenz» – die Freigebigkeit – des Herzogs noch weiter zu strapazieren.
Im Spätsommer 1801 erscheint sein epochales Meisterwerk Disquisitiones Arithmeticae , die Arithmetischen Untersuchungen . So tief hat noch kein Mathematiker vor ihm die Welt der Zahlen durchdrungen. Dabei erschafft er die eigenständige mathematische Disziplin der «Höheren Arithmetik». Mit einer bis dahin in der Mathematik unbekannten Strenge legt er die Bedingungen für Lehrsätze und Strukturen neu fest, die seit vielen Jahrhunderten Bestand haben. Und so renoviert der Sohn des Lehmmaurers ein für alle Mal ein wackliges mathematisches Lehrgebäude, das so herausragende Mathematiker wie Leibniz, Newton und Euler bereits für angemessen standhaft gehalten hatten. Ähnlich wie der schwedische Naturforscher Carl von Linné das Tier- und Pflanzenreich grundlegend neu in Stämme, Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten klassifiziert hat, so teilt auch Gauß jetzt die mathematischen Objekte der Zahlentheorie systematisch in neue Klassen und Ordnungen ein und schafft dadurch eine zusätzliche algebraische Struktur, in der
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