Gauß: Eine Biographie (German Edition)
wissen», würde so eine Reise auch nicht viel länger als fünf Wochen dauern, beruhigt er seine junge Frau. Johanna kommt offenbar gar nicht auf die Idee, dass er ja auch mit ihr nach Paris fahren könnte. Sie gönnt ihrem Schatz die Reise von Herzen. Betrübt wäre sie allerdings, wenn es schon bald geschehe: «Doch hoffe ich das die Rede erst nach verlauf einiger Jahre davon seyn wird, wie köntest Du auch Dein Hanchen sobald wieder verlaßen wollen.» Nach zehn Tagen fern der Heimat besinnt Gauß sich wieder auf Vesta und das bescheidene häusliche Glück: «So einige Wochen in Saus und Braus zu verbringen ist so übel nicht, aber auf die Länge kriegt man es doch satt und sehnt sich wieder nach einer frugalen häuslichen Eingeschränktheit zurück.» Johanna zählt die Tage bis zu seiner Rückkehr. Und auch er will lieber heute als morgen zu Hause sein: «Welch ein Fest soll es mir sein, dich und unsern Joseph wieder an mein Herz zu drücken!» [Mac: 11]. Paris bleibt eine funkelnde Idee. Weiter als nach München und Berlin wird Gauß nie kommen.
Kurz nach seiner Rückkehr aus Bremen trifft im August ein Schreiben der Universität Göttingen ein. Gauß wird zum Professor der Astronomie und Leiter der Sternwarte berufen und soll im Herbst seinen Dienst antreten. Dieses Dokument ist nur noch die offizielle Bestätigung so mancher vorangegangener inoffizieller Zusage. Ausschlaggebend sind selbstverständlich die wissenschaftlichen Verdienste des dreißigjährigen Gelehrten, aber Olbers hat mit seiner geschickten Verhandlungstaktik einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Gelingen geleistet. Zur gleichen Zeit machen die Astronomen in der Leipziger Akademie der Wissenschaften den Vorschlag, «uns den schönsten Teil des Orion[-Sternbilds] als ein Napoleons-Gestirn aufdringen zu wollen» [Olb1: 379], wie Olbers pikiert bemerkt. So viel Unterwürfigkeit und Schmeichelei gegenüber dem Welteroberer hält auch Gauß für verächtlich. Er degradiert die Leipziger Astronomen zu Astrologen und witzelt, er selbst habe erst kürzlich der Braunschweiger Kaufmannschaft vorgeschlagen, den Jupiter in Napoleons-Gestirn umzubenennen. Und bald schon werde eine andere Innung – oder war es doch eine Schauspielergesellschaft? – die Mondflecken umtaufen. Dabei hat der renommierte Astronom Johann Elert Bode erst vor 20 Jahren vorgeschlagen, Friedrich dem Großen ein astronomisches Denkmal zu setzen. Im Sternbild Andromeda habe er in inspirierender Nähe des Flügelrosses Pegasus für den «Helden, Philosophen und pacificateur » Friedrich II. aus 76 Sternen, die während seiner Regierungszeit senkrecht über dem Zentrum seines Imperiums gestanden hätten, Krone, Schwert, Feder und Lorbeerzweig zum neuen Sternbild «Friedrichs Ehre» angeordnet. Die meisten dieser Sterne habe er übrigens selbst entdeckt. Der Antrag wurde in Berlin zwar angenommen, ließ sich aber in der internationalen Astronomengemeinde nicht durchsetzen [Bod: 57 – 60].
In den Wirren der französischen Besatzung hat Gauß sein Gehalt nicht regelmäßig ausgezahlt bekommen. Ende Oktober 1807 beschlagnahmt die neue Regierung die ehemals herzogliche Kasse, aus der er sein Gehalt bezieht, und untersagt alle weiteren Auszahlungen. Jetzt, da der Herzog tot ist, werden auch diejenigen mutiger und lauter, die ihm schon immer seine Unabhängigkeit als herzoglicher Beamter ohne Portefeuille missgönnt haben. Gauß will Braunschweig aber erst in Richtung Göttingen verlassen, wenn die «beträchtlichen Rückstände» ausgeglichen sind. Inzwischen ist er mit der Übersetzung des ersten Manuskriptabschnitts ins Lateinische fertig, sodass Perthes in Hamburg mit dem Druck beginnen kann. Gauß rechnet zu Ostern 1808 mit der Veröffentlichung. Da taucht ein neuer Komet am Himmel auf, dessen Schweif zuweilen mit bloßem Auge sichtbar ist. Sein Kern ist eine Mischung aus gefrorenem Wasser und Staub, ein «schmutziger Schneeball», wie die Astronomen heute sagen. Obwohl diese perodisch wiederkehrenden Wanderer durchs Sonnensystem wegen ihrer phänomenalen Leuchtkraft Aufsehen erregen, sind ihre Eiskerne von einer schwarzen Kruste bedeckt, die nur etwa 4 Prozent des Lichts reflektiert. Deshalb sind Kometen paradoxerweise die dunkelsten Objekte, die man am Himmel beobachten kann. Im Herbst 1807 aber sind diese Details noch nicht bekannt. Olbers, die Lilienthaler und Gauß teilen sich die Aufgaben bei der Bahnberechnung. Und dann macht Olbers am Kometensucher eine spektakuläre
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