Gauß: Eine Biographie (German Edition)
Seine Söhne werden ihn dereinst zu gleichen Teilen beerben. Gebhard Dietrich Gauß stirbt am 14. April 1808 im Alter von 64 Jahren.
Nach einer ersten Inspektion der alten Sternwarte, die in einem runden, in die ehemalige Stadtmauer integrierten Turm untergebracht ist, zeigt Gauß sich enttäuscht über den Zustand der meisten Instrumente. Ein Teleskop ist «ganz erbärmlich montiert» und für Beobachtungen lichtschwacher Objekte und ihrer Ortsbestimmung unbrauchbar. Die Fixsterne geraten am Rand des Gesichtsfeldes zu langen Spießen. Auch ein Spiegelteleskop der gleichen Bauart, wie er es in Braunschweig benutzt hat, ist so wacklig, dass es beim kleinsten Luftzug hin- und herschaukelt. Da hat er am Stubenfenster in Braunschweig bessere Bedingungen gehabt. Am Herschel-Teleskop jedoch hat er nichts auszusetzen. Sofort fängt er den Kometen wieder ein, dessen doppelter Schweif ihm, wenn man so will, den Weg nach Göttingen gewiesen hat.
Der Grundstein für die neue Sternwarte draußen vor der Stadt mit freier Sicht in alle Himmelsrichtungen ist 1803 gelegt worden. In den vergangenen fünf Jahren hat die Stadt ständig wechselnde preußische und napoleonische Besatzungsarmeen verkraften müssen. Wenn es überall am Nötigsten fehlt, muss auch das Geld für die Arbeiten an der Sternwarte zur Versorgung der fremden Truppen abgezweigt werden.
In einem Brief an Dorothea Köppe spricht Johanna Gauß von der «Niedergeschlagenheit und Verzweiflung» ihres Mannes über die vielfachen Demütigungen der Fremdherrschaft, unter denen alle leiden, vom Dienstmädchen bis zum Hofrat. Es sind aber zweifellos nicht nur die unregelmäßigen Gehaltszahlungen unter französischer Verwaltung, die ihm Kummer bereiten. Auch um seine Johanna macht er sich Sorgen. Es fällt ihr offenbar schwerer als in den ersten Jahren, mit ihrer Unbeschwertheit und ihrem sonnigen Gemüt den Ehemann aus seiner Melancholie herauszulösen. Seit ihrer schweren zweiten Geburt leidet sie unter chronischer körperlicher Schwäche. Und gerade ist sie wieder schwanger geworden. Ob die Eheleute gemeinsam freimütig über ihre Angst vor neuen Komplikationen reden? Dass die über alles geliebte Frau so leidet, verstärkt seine trübsinnige Stimmung. Aus dieser Zeit stammt auch ein erschütterndes Zeugnis seiner Schwermut. Mitten in seinen mathematischen Aufzeichnungen steht: «Der Tod ist mir lieber als ein solches Leben». Gauß denkt sogar über einen Wechsel an eine andere Universität nach. Typischerweise überlässt er Olbers die Erkundigungen über die Universitäten im russischen – heute estländischen – Dorpat und in Leipzig. Doch weder über die Verhältnisse noch über den Zustand der astronomischen Instrumente weiß dieser Vorteilhaftes zu berichten. Olbers redet dem Freund die Fluchtgedanken nicht aus, gibt ihm aber deutlich zu verstehen, dass die Auswirkungen der napoleonischen Schwerkraft augenblicklich den ganzen europäischen Kontinent erschüttern.
Und die düsteren Wolken ziehen auch wieder vorüber. Es hat sogar den Anschein, als habe Napoleons Bruder Jérôme, der das Königreich Westphalen von Kassel aus regiert, ein Faible für die Göttinger Universität. Mit Verhandlungsgeschick, Huldigungsgesten und Mummenschanz gelingt es dem Universitätskuratorium, den neuen Herrscher gewogen zu stimmen. Hanchen berichtet ihrer Freundin Dorothea von einer pompösen Ehrenpforte, die die Professorenschaft für den Besuch Jérômes in Göttingen zimmern lasse. «Auch sollen alle dito in einem lächerlichen Costume mit Röcken ohne Kragen, langen Westen mit Klappen und Schößen versehen und Gott weiß was alles paradiren …» [Mac: 24]. Offenbar hat sich die Investition von 600 Talern in die Ehrenpforte ausgezahlt, denn der König sichert der Universität seinen besonderen Schutz zu, sodass selbst Gauß sich verhalten optimistisch über die Wiederaufnahme der Bauarbeiten an der Sternwarte äußert. Peu à peu arrangieren sich die Akademiker mit der französischen Besatzungsmacht.
Das Dozieren liegt Gauß nicht. Davon ist er überzeugt, obwohl er es noch nie getan hat. Dieses «undankbare Geschäft» verschlinge zu viel Zeit. In dieser Hinsicht meint es das Schicksal zunächst gut mit ihm. Denn da sich erstaunlicherweise nur ein einziger Student für die Vorlesung des berühmten neuen Professors anmeldet, wird die Veranstaltung abgesagt. So bleibt ihm die Peinlichkeit eines Privatissimums erspart. Im zweiten Halbjahr sind es dann schon drei, die Gauß
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