Gauß: Eine Biographie (German Edition)
weltläufige Wilhelm Olbers übernimmt auch hier in bewährter Manier die Verhandlungen mit dem Hamburger Buchhändler Friedrich Christoph Perthes. Die Optionen serviert er Gauß auf dem Silbertablett. Der muss seine Wünsche nur noch ankreuzen und ist bereit, sich einen Teil des Honorars in Naturalien auszahlen zu lassen. Eine entsprechende Bücherliste stellt er gerade zusammen. Das Manuskript hat Gauß auf Deutsch verfasst. Perthes besteht allerdings auf Latein, weil er sich mit der wissenschaftlichen lingua franca größere Vertriebs- und Absatzchancen in vielen europäischen Ländern verspricht. Mit Sicherheit hat Olbers auch den PR-Agenten gespielt und Perthes die Verdienste seines Schützlings in den schillerndsten Farben dargestellt. Nun aber verzögert sich das Erscheinen des Buches noch einmal erheblich, weil Gauß sein Manuskript verständlicherweise selbst übersetzen will. Deshalb nimmt er es auch Ende Juni mit auf die seit langem geplante Reise zu Olbers nach Bremen, wo die beiden fast drei Wochen lang ihre Freundschaft feiern werden.
Gauß muss auf einem offenen Pferdefuhrwerk nach Bremen gereist sein, denn im ersten Brief an sein «Hanchen» schreibt er, er sei von Mittwochabend um 9 Uhr bis Donnerstagmittag 12 Uhr im Dauerregen unterwegs gewesen, der ihm «durch Chenille, Schlafrock, zwei Kleider und Hemd endlich doch bis auf die Haut» ging. Hanchen ist besorgt um ihren «süßen Liebling» und beschwört ihn «um unserer Liebe willen … meinen einzigen Wunsch» zu erfüllen und mit dem Arzt Olbers über seine chronischen Magenbeschwerden zu sprechen. Die Herren Astronomen aber machen in Bremen und Umgebung – so scheint’s – eine Sause nach der anderen, und der in Braunschweig auf Schonkost gesetzte Gauß lässt sich von der Lebensfreude an der Weser anstecken. Olbers verzichtet auf die üblichen ärztlichen Ratschläge, kehrt den Bonvivant heraus und verschreibt dem Freund eine «Kellerkur». Und so berichtet Gauß nach Hause, der gute Madeira im Weinkeller des Freundes helfe gegen seine Magenbeschwerden besser als jede Arznei. Er trinke hier «täglich eineinhalb Bouteillen» davon. Olbers halte den Tavelle, seinen Tafelwein in Braunschweig, für ungesund. Deshalb bittet er sein Hanchen, guten Wein zu kaufen, falls der Göttinger Kollege Harding an die Tür klopfen sollte. Der Entdecker des Planeten Juno befinde sich auf einer Rundreise und wisse wahrscheinlich nicht, dass Gauß in Bremen sei. Den Tavelle könne sie ihm jedenfalls nicht anbieten. Ein Medoc oder Chateau Margot sollte es schon sein. «Der Preis kommt nicht in Betracht». Ob sie nicht eine kleine Abendgesellschaft für Harding ausrichten und dazu Bartels, Schneider und Horn einladen könne. Und wenn dann zum Dessert alle mit «unserem Burgunder auf meine Gesundheit» anstießen, * wüsste er seine Freunde in Braunschweig in ähnlich angenehmer Geselligkeit, wie er sie hier gerade genieße. Aber nicht nur beim Wein ist er auf den Geschmack gekommen: «Ich esse hier zuverlässig viermal so viel als zu Hause und doch beschwert man sich noch über meinen wenigen Appetit … ganz kann ich mich noch nicht mit den Bremer Schmäusen befreunden; am Montag mußte ich das ganze Diner wieder von oben abliefern …» [Mac: 8; 10].
Johanna ist irritiert. Gern erfülle sie ihm jeden Wunsch. Doch kurzfristig Abendgesellschaften arrangieren und allein mit den gelehrten Herren Burgunder trinken ohne ihren geliebten Carl könne sie sich nun doch nicht so recht vorstellen. Sie erzählt von Joseph, den sie gerade entwöhne. Zahn Nr. 7 und 8 habe er «ohne Schmerzen bekommen. Es ist der wildeste ausgelassenste Bube, den ich kenne, er ist wirklich wie ein Eichhörnchen, ein wahrer Laufbruder, genießt täglich zweimahl die frische Luft, eine wilde Hummel, sehr munter und lustig, und scheint sein Leid [die Entwöhnung] bis auf einzelne Augenblicke, wo er mich sehr kläglich ansieht, verschmerzt, doch nicht vergessen zu haben. Ich denke, unglücklich wird er nie werden» [Mac: 15].
Mittlerweile kann sich der zum guten Essen und Trinken bekehrte Gauß sogar vorstellen, seinen bisher weitgehend auf die Braunschweiger Stadtmitte beschränkten Aktionsradius erheblich zu erweitern. In der großzügigen Atmosphäre Olbers’scher Gastfreundschaft werden Reisepläne geschmiedet. Paris wäre nicht schlecht. Aber nicht etwa mit Hanchen und Joseph, sondern mit Olbers: «Da wir alle beide das französische Theater u. dergl. Narrenpossen eben nicht zu schätzen
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