Gauß: Eine Biographie (German Edition)
und Kometen vor. Nichts anderes bedeutet der Begriff «Kegelschnitte» im Buchtitel. Dazu gehört ein verfeinertes Verfahren zur Bestimmung der Positionen von Himmelskörpern mit Hilfe dreier Koordinaten – eine Triangulation am Himmel. Diese neuen Formeln und Fehlerreduzierungsprozesse unterscheiden sich von den herkömmlichen Verfahren durch ihre Allgemeingültigkeit. Die Bahn wird nicht mehr durch Hypothesen und schrittweise Annäherungen bestimmt, sondern nach dem neuen «geschmeidigen, für die wirkliche Anwendung geformten Calcul» [GauVI: 54].
Es ist die Weiterentwicklung und Vervollkommnung einer mathematischen Einsicht, die er als siebzehnjähriger Carolinum-Zögling gehabt hat. Es soll die mit Fehlern behafteten Beobachtungen und Messungen möglichst gut ausgleichen. Gauß verbessert die gefundene Bahn, indem er die Summe der Differenzen zwischen den beobachteten und den berechneten Koordinaten quadriert und sie so gering wie möglich werden lässt. Und sollte es nach dem grandiosen Erfolg der Ceresbahnberechnung vom Herbst 1801 noch einen Zweifel an der Allgemeingültigkeit des Gauß’schen Verfahrens gegeben haben, so lieferten ihm die Entdeckungen von Pallas, Juno und Vesta in den darauffolgenden Jahren die willkommene Gelegenheit, die Leistungsfähigkeit seiner Methode eindrucksvoll unter Beweis zu stellen.
Der Name seines neuen Verfahrens lautet «Methode der kleinsten Quadrate». Dieser Begriff stammt allerdings nicht von ihm selbst, sondern von dem französischen Mathematiker Adrien Marie Legendre, der sie 1807 veröffentlicht hat. Legendre schreibt: «Von allen Prinzipien … ist meiner Meinung nach das allgemeinste, genaueste und am leichtesten anwendbare dasjenige, das die Summe der Quadrate der Fehler zu einem Minimum macht. Hierdurch wird zwischen den Fehlern eine Art Gleichgewicht hergestellt, welches verhindert, dass die extremen [Fehler] überwiegen, und sehr geeignet ist, das der Wahrheit am nächsten kommende Ergebnis … erkennen zu lassen» [Gal: 11]. Gauß macht ihm diese Entdeckung auch nicht streitig und bleibt gelassen. Er rechnet ja im wahrsten Sinne des Wortes damit, dass Mathematiker ähnlichen Formats von selbst auf diese Methode kommen müssen. Die konsequente Einhaltung seines strikten Prinzips, nur vollendete Kunstwerke zu veröffentlichen, führt in diesem Fall dazu, dass Legendre die Idee als Erster publiziert. Nach wissenschaftlichen Veröffentlichungskriterien gebührt ihm dafür also auch die Urheberschaft. Gauß übernimmt den von Legendre geprägten Begriff «Methode der kleinsten Quadrate» (Méthode des moindres carrés). In den Göttingischen gelehrten Anzeigen vom 11. Juni 1809 darf Gauß sein neues Buch auf sieben Seiten vorstellen. Dabei kann er sich allerdings den Hinweis nicht verkneifen, die zwei Jahre zuvor von Legendre veröffentlichten Grundsätze seien «von dem Verfasser schon seit 14 Jahren angewandt und von demselben schon vor geraumer Zeit mehreren seiner astronomischen Freunde mitgetheilt» worden [GauVI: 59]. Ganz so abgeklärt, wie manche Gauß-Bewunderer uns dessen Gemütslage schildern, hat er dann wohl doch nicht auf die Veröffentlichung von Legendre reagiert.
Doch ganz andere Sorgen überschatten den gerade erreichten Zenit seiner Astronomenkarriere. Am 10. September 1809 hat Johanna Gauß einen Sohn zur Welt gebracht, der, wie geplant, nach dem Juno-Entdecker Harding Ludwig heißen soll. Aber Johanna scheint sich auch dieses Mal nicht gleich von den Strapazen der Geburt zu erholen. 24 Tage danach geht es ihr immer noch schlecht, sodass Gauß den geplanten Besuch bei Olbers in Bremen vorerst absagen muss. Johanna selbst hat erneute Komplikationen befürchtet. Als sie sich Ende Januar 1809 ihrer Freundin Dorothea Köppe anvertraute, wieder schwanger zu sein, gab sie auch preis, es gehe ihr bereits seit Minnas Geburt, also seit fast einem Jahr, «gar nicht gut, bin immer übel … ich fühle seit der Zeit im untersten Knochen des Rückgrats wenn ich lange gesessen habe, Schmerz. Dieß hat immer zugenommen …» Dennoch sei sie glücklich mit ihrem Carl, habe sich inzwischen in Göttingen eingelebt und fühle sich der Familie des Juraprofessors Waldeck herzlich verbunden, vor allem der jüngsten Tochter Minna. Wenngleich auch Minna Waldeck ihre liebste Freundin Dorchen niemals ersetzen könne: «Nein, es ist feste Überzeugung bey mir geworden, der Mensch ist nur im stande einmal zu lieben …» [Mac: 38]. Im siebenten Monat ihrer
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