Gauß: Eine Biographie (German Edition)
dieses Mal kommt er nicht allein, sondern in Begleitung seiner beiden Kinder, Schwiegermutter Osthoff und einer fremden, jungen Dame von 22 Jahren. Seit drei Wochen ist er mit ihr verlobt, im August wollen sie heiraten. So lange wird Johannas Mutter noch den Haushalt in Göttingen führen. Die neue Braut heißt Minna Waldeck, jüngste Tochter des Göttinger Juraprofessors Johann Peter Waldeck, Oberhaupt einer – wie man in leichtfertiger Generalunion zu sagen pflegt – angesehenen, wohlhabenden und vornehmen Familie. Sie ist die Frau, der Johanna in der schwierigen Eingewöhnungszeit in Göttingen am nahesten gekommen ist und die sie ihre Freundin genannt hat. Gauß glaubt, dieselbe Herzensgüte an ihr entdeckt zu haben, die Johanna zu eigen gewesen ist. Jeder, der Gauß kennt, ihn liebt und die Situation mit Verstand betrachtet, wird diese geplante zweite Ehe für die einzig vernünftige Lösung halten. Der dreieinhalbjährige Joseph und die zweijährige Minna bekommen eine neue Mutter und der dreiunddreißigjährige Witwer, der «isoliert nie wieder eine volle Heiterkeit erlangen» kann, eine neue Gefährtin.
Doch wie reagieren die Freunde, die Johanna gekannt und geliebt haben, auf Minna, die, wie Gauß seinem Freund Schumacher anvertraut, «meine Kinder schon wie Mutter lieben»? Seit Johannas Tod ist gerade ein halbes Jahr vergangen. Dass Mutter Osthoff das neue Paar begleitet und wieder mit nach Göttingen zurückkehren wird, mag bei manchem Schwankenden ein vorschnelles Urteil verhindert haben. Vielleicht wacht sie auch wie eine Anstandsdame über die Verlobten, denn sittsam sollte es schon zugehen, wenn Braut und Bräutigam vor der Hochzeit verreisen. Aber in Dorothea Köppes Ohren muss es geklingelt haben, hat sie doch nur wenige Wochen vor Johannas Tod ihrer Freundin noch schalkhaft geraten, nicht allzu früh zu sterben, da die Männer schlecht sind und sich schnell wieder verheiraten.
Woanders aber kommt es tatsächlich zu Missstimmungen. Im Haus von Johannas Cousine Auguste Bosse muss es Streit gegeben haben. In einem Brief bedankt sich Gauß für ihre Gastfreundschaft und geht mit beschwichtigenden Worten indirekt darauf ein, entschuldigt sich und versichert ihr, die Wogen seien inzwischen geglättet. Denn unkompliziert und fröhlich wie Johanna scheint Minna Waldeck nicht gerade zu sein, eher kapriziös und empfindlich. Und was ein Begrüßungsgang durch die Braunschweiger Ostervorgärten werden sollte, um die neue Verlobte vorzustellen, gerät nun fast zu einem Reinfall und wächst sich zu einer ernsthaften Krise zwischen den Verlobten aus. Der soziale Kontrast zwischen der höheren Tochter «aus gutem Hause» und den bodenständigen, mit Mutterwitz begabten Kaufleuten und Handwerkern könnte größer kaum sein. Vor allem die Begegnung mit Dorothea Gauß muss für Minna ein Schock gewesen sein. Die Mutter des größten Mathematikers der Welt ist eine Analphabetin, kennt offenbar keine andere Kleidung als ihren bäuerlichen Leinenkittel und spricht nur das derbe Braunschweiger Platt.
Bemerkenswerterweise hat Gauß in dieser existenziellen Angelegenheit nicht den Rat seines väterlichen Freundes Wilhelm Olbers gesucht, sondern stellt den erstaunten Briefpartner vor vollendete Tatsachen. Etwas gespreizt spricht er von einer sonderbaren Concatenation , einer Verkettung von Umständen, die ihm ein Wesen in die Arme geführt habe, das «ebenso fromm und engelgut [ist] wie meine verewigte Frau war» [Olb1: 448]. Dieses Mal sind seine Ratgeber zwei würdige Herren aus Braunschweig, die auf ihre alten Tage noch in die Kupplerrolle schlüpfen wollen, um ihren einstigen Schüler endlich wieder glücklich zu sehen. Es sind der Mathematiklehrer Hellwig, der Gauß damals vom Mathematikunterricht auf dem Gymnasium befreite, und sein «Pflegevater» Zimmermann, die sich insgeheim «drei schöne, höchst sittsame und gebildete Mädgen» [Zim 1 : 66] in Braunschweig ausgeguckt haben und ihn beschwören, sie sich anzuschauen und wieder zu heiraten, um seine «innere Ruhe» wiederherzustellen. Die Idee an sich nimmt Gauß auf, aber die drei Braunschweiger Grazien bleiben ungeküsst, denn sein Blick ist ja schon auf eine andere gefallen.
Gauß kennt Minna Waldeck seit zwei Jahren. In der Villa ihrer Eltern sind er und seine Ehefrau Johanna gerngesehene Gäste gewesen. Anfang 1810 erfährt der Witwer, Minnas Verlobung mit einem Herrn Witmütz sei gelöst worden – jene Concatenation , die Gauß als Fingerzeig des
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