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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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465]. Aber damit nicht genug. Diese Erfindung beflügelt seine Phantasie und lässt ihn in einem ersten Bericht für die Göttingischen gelehrten Anzeigen über eine noch viel weiter reichende Möglichkeit spekulieren, nämlich den «vielleicht noch wichtigeren Gebrauch eines den Raum so kräftig durchdringenden Mittels zu telegraphischen Signalisierungen in Krieg und Frieden» [GauIX: 465].
    Gauß benutzt hier den Begriff «Telegraph» ganz selbstverständlich, obwohl sich die französische Erfindung der optischen Nachrichtenübertragung in Deutschland noch nicht durchgesetzt hat. Aber er ist über die neuesten Entwicklungen informiert. Vor fünf Jahren hatte er während eines Aufenthalts in München, wo er astronomische Instrumente für die Sternwarte in Augenschein genommen hat, Professor Samuel Thomas von Soemmerring einen zweitägigen Besuch abgestattet. Das geht aus den Tagebüchern Soemmerrings hervor: «27. April (1816): H. Professor Gauß aus Göttingen. 28. April: Zambonica Hn Gauß gezeigt» [Asc 2 : 69]. Die Zambonica ist eine vom italienischen Physiker Giuseppe Zamboni entwickelte Trockenbatterie, die auf dem Prinzip der Volta’schen Säule beruht. Sie gibt nur sehr wenig Energie ab, was sich allerdings als Vorteil erweist, da sie sehr lange hält. So konstruiert Zamboni eine primitive, aber im Prinzip funktionierende elektrische Pendeluhr, die angeblich viele Jahrzehnte ununterbrochen im Betrieb gewesen sein soll. Da Gauß zu diesem Zeitpunkt geradezu verzweifelt auf der Suche nach einer zuverlässigen astronomischen Uhr gewesen ist, hat ihm Instrumentenbauer Reichenbach womöglich die Begegnung mit Soemmerring und diesen Einblick in die noch junge, avantgardistische Elektrotechnik vermittelt.
    Ein Gespräch mit Soemmerring über dessen elektrochemischen Telegraphen oder gar eine Demonstration der neuartigen Kommunikation ist zwar nicht nachweisbar, wird aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stattgefunden haben. Soemmerrings Telegraph ist nie zur Serienreife gelangt. Er fand kein Mittel zur Isolierung der zahlreichen Drähte über längere Strecken hinweg. Als Schüler Lichtenbergs ist Gauß mit der Mathematisierung des Phänomens Elektrizität vertraut. Wenn er daher 1821 im Glanz seiner Erfindung von der telegraphischen Anwendung des Heliotrops spricht, sollte ihm eigentlich die Verbindung optischer Telegraphie mit elektrischer Energie gegenwärtig gewesen sein. Aber so weit ist es noch nicht. Vorerst denkt Gauß nur an einen privaten Blinkcode, denn der gespiegelte Lichtstrahl lässt sich ja mit vorgehaltener Hand willkürlich unterbrechen. Deshalb will er die genau messbaren Intervalle zwischen Erscheinen und Verschwinden des Lichts mit verabredeten Bedeutungen belegen. So entwickelt er im Lauf dieses ersten Vermessungssommers eine Blitzlichtkommunikation mit seinen Gehilfen, zu denen auch sein fünfzehnjähriger Sohn Joseph gehört. Sie verabreden Signalfolgen, die sie sich mit dem Heliotrop von den Dreieckspunkten schicken, um das Ende einer Winkelmessreihe, den Aufbruch zum nächsten Berg oder eine spontane Planänderung wegen Wetterumschwungs zu übermitteln. Für das Telegraphieren benutzen sie einen größeren Spiegel von 30 Quadratzentimeter Fläche. Am Anfang gibt es zwar noch ein paar «mal-entendus» – falsch verstandene Signale –, aber im November 1821 schreibt er an Schumacher: «Das Telegraphieren habe ich ziemlich ausgebildet, ich kann allenfalls einige Tausend verschiedene Zeichen geben» [ShuI: 248]. Einige Tausend … da möchten Neugierige doch gern den zugrunde liegenden Code kennen. Aber der in seinen Briefen sonst so mitteilsame und über alle technischen Details Auskunft gebende Gauß schweigt an dieser Stelle über seine Fähigkeiten, eine derart differenzierte Lichtsprache über königlich hannoverschen Hügeln und Bergen funkeln zu lassen.
    Selbst das Licht des Mondes hat er schon eingefangen und auf seine Zielpunkte umlenken können. Klare Vollmondabende und -nächte könnten so zu einer Alternative zu nebelverhangenen Tagen werden, die ihn vor allem auf dem Brocken erwarten werden. Und dann erwacht der schmunzelnde Visionär in ihm: «Mit 100 Stück Spiegeln, jeden zu 16 Quadratfuß [knapp fünf Quadratmeter] Fläche, vereint gebraucht, würde man gutes Heliotrop-Licht nach dem Mond schicken können. Schade, dass wir nicht einen solchen Apparat mit einem Détachement von 100 Leuten und ein paar Astronomen dahin senden können, uns zu Längenbestimmungen

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