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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Zeiten zu geben» [Olb2: 181].
    Doch nach diesem rauschhaften Höhenflug mit lenkbarem Sonnenlicht zur Vermessung geodätischer Dreiecksseiten wird dem Erfinder umso schmerzlicher bewusst, dass ihm die Amtsgeschäfte an der Universität nicht die Freiheit zu wirklich kreativer Arbeit lassen. «Das Kollegienlesen erregt immer das Gefühl, dass ich meine Zeit auf eine edlere Art anwenden könnte, und mit Betrübnis fühle ich, bei zunehmenden Jahren, wie wenig ich zu den edleren Arbeiten kommen kann und die Stunden dazu ergeizen muss» [Olb2: 118]. Außerdem fühlt Gauß sich nicht mehr angemessen bezahlt, denn inzwischen muss er für eine zehnköpfige Familie sorgen: seine Frau, fünf Kinder, seine alte Mutter und zwei Hausangestellte. Endlich einmal will er auf größerem Fuß leben, ist das Knapsen leid. So manches Mal bereut er es, vor zehn Jahren nicht Humboldts Angebot angenommen zu haben und nach Berlin gegangen zu sein. Aber da drückten ihn ganz andere Sorgen. Seine Verlobung mit Minna drohte zu platzen. Mitten in die augenblickliche Unzufriedenheit über die Göttinger Umstände platzt ein neues Angebot der Berliner Akademie der Wissenschaften. Fast könnte man meinen, jemand ziehe insgeheim die Fäden für ihn. Doch am Abend desselben Tages, an dem ihm seine ersten Heliotropversuche auf der Sternwartenterrasse so eindrucksvoll gelingen, offenbart er als Grund, der ihn dieses Mal von einem Umzug nach Berlin abhält, «die nur zu gegründete Besorgnis, dass ein großer Theil des Vermögens meiner Frau bei einer Veränderung in die Brüche gehen könnte. Allein auf die eine oder andere Art muss es anders werden, wenn ich nicht dabei zu Grunde gehen will» [Olb2: 118]. Zu Grunde gehen. Das klingt verzweifelt, oder drückt ihm nur gerade wieder der nervöse Magen aufs Gemüt? Droht seine Schwiegermutter – Hofrat Waldeck ist schon lange tot – tatsächlich mit der Enterbung ihrer Tochter, wenn die sich aus dem mütterlichen Schutz- und Kontrollbereich entfernen sollte, oder ist das nur eine völlig übertriebene Sorge der überspannt wirkenden Minna? Steht es wirklich so schlimm, dass Gauß glaubt, in Göttingen zu versauern? Abgesehen von der immer wieder genannten Zersplitterung seiner Zeit gibt es inzwischen tatsächlich ein ernsthaftes Problem mit dem zweiten Astronomieprofessor Harding. Nach vielen Jahren Tür an Tür mit Gauß – Harding wohnt im anderen Flügel der Sternwarte – fühlt der sich nicht genügend anerkannt, muss beim Chef betteln, den Meridiankreis benutzen zu dürfen. Gauß hat nie etwas anderes als eine bessere Hilfskraft in ihm gesehen, lässt ihn das zuweilen auch spüren, etwa wenn er ihn bittet, einen Brief an Schumacher zu kopieren. Harding hat immerhin den Planetoiden Juno entdeckt. Doch das ist lange her. Es gibt Kompetenzgerangel. Gauß bezeichnet ihn als «fünftes Rad am Wagen». Man macht sich gegenseitig das Leben schwer. Gauß ist verbittert, die Galle kommt ihm hoch. Er will ihn loswerden, spannt seine Freunde ein, die sollen ihn wegloben. Kann man denn den Mann nicht irgendwo weit entfernt von Göttingen «würdig» unterbringen? Die Situation ist paradox: Einerseits leidet Gauß darunter, als Einmannbetrieb überlastet zu sein, und wünscht sich einen erfahrenen Messtechniker. Andererseits lässt er den dafür prädestinierten Harding nicht zur Entfaltung kommen. Aber Arbeit zu delegieren ist – zumindest hier in seiner Sternwarte – wohl nicht seine Stärke.
    Gleichzeitig sondiert Heinrich Christian Schumacher im Auftrag des Freundes die pekuniären Perspektiven des Direktorpostens der noch zu gründenden Sternwarte in Hamburg. Gauß will sich aber auf gar keinen Fall die Blöße geben, offiziell Wechselabsichten zu bekunden. Es soll so aussehen, als gehe von Schumacher höchstpersönlich die Initiative aus, Gauß nach Hamburg zu holen. Was Schumacher wiederholt in heikle Situationen bringt, in denen er die Kunst der Verstellung auf die Spitze treiben muss. Eine dubiose Angelegenheit, die sich den ganzen Sommer über wie ein roter Faden durch die Korrespondenz zieht, einen gespreizten Tonfall annimmt und eine geradezu konspirative Atmosphäre verbreitet.
    Und der zweite Versuch Humboldts, Gauß aus der südhannoverschen Provinz in die rasch wachsende Hauptstadt Preußens zu locken, gerät zu einem jahrelangen zähen Ringen mit grotesken Zügen. Mal ist der preußische König gerade in die böhmischen Bäder abgereist und kann keine Entscheidung treffen. Und ist er

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