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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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zugesprochen bekommen. Die Akademie wollte eine Lösung für die konforme Abbildung krummer Flächen haben. Außer der Ehre wird ihm eine Goldmedaille in Aussicht gestellt. An Schumacher schreibt er: «… die Krankheit meiner Frau, die Veränderungen in meinem Hausstande, die dadurch für die Zukunft nothwendig werden, und einige bedeutende Verluste, die erlitten zu haben ich heute benachrichtigt wurde, [haben] mich in meinen Finanzen so derangirt, dass ich den Luxus, eine Medaille aufzubewahren, mir nicht verstatten darf». Wie seine Freunde es ja schon gewohnt sind, bekommt Schumacher den Auftrag, sich um den Verkauf der Medaille zu kümmern, da die Wechselkurse in Göttingen so ungünstig seien. «Es versteht sich von selbst, dass die Societät davon nichts zu wissen braucht» [ShuI: 317].
    Mitte September startet Gauß mit einer «Augenentzündung, geschwollenen Drüsen und einem Zahngeschwür» seinen zweiten Versuch auf dem Brocken. Vierzehn Tage verbringt er in dem unwirtlichen Klima, um die Richtung zum Inselsberg im Thüringer Wald zu bestimmen und die dürftigen Winkelmessungen des Jahres 1821 zu vervollständigen. Außerdem entwickelt sich diese Brockenexkursion zu einer Kooperation mit dem Kollegen Christian Ludwig Gerling, der gleichzeitig auf dem Inselsberg Stellung bezogen hat. Hier soll das Gauß’sche Dreieckssystem an die hessische Triangulation angeschlossen werden. Die beiden Projektleiter senden sich gegenseitig Heliotroplicht und benutzen den Apparat auch zum Telegraphieren mit zuvor verabredeten Blinksignalen. Die ersten drei Tage verbringt Gauß wieder im dichten Nebel, aber immerhin gelingen an ein paar schönen Tagen genügend Winkelmessungen mit der inzwischen zum Standard gewordenen hohen Wiederholungsrate.
    Der Inselsberg ist 105 Kilometer entfernt. Richtete Gauß nun den Heliotropscheinwerfer vom Brocken aus ein wenig weiter in südöstliche Richtung, so geriete ihm nach ebenfalls 105 Kilometern ein Plateau oberhalb der Saale ins Visier. Hier, am Rand des Dorfes Goseck zwischen Naumburg und Weißenfels, errichteten die ersten Bauern Europas vor 7000 Jahren ein Sonnenobservatorium. Es war ein Kreisgraben von 75 Metern Durchmesser. Konzentrisch dazu waren zwei Palisadenzaunkreise angelegt, die von drei Toren unterbrochen waren. Wer 4800 Jahre vor unserer Zeitrechnung aus der Mitte der gerade sesshaft gewordenen Jäger und Sammler auserwählt war, in das heilige Zentrum der Palisadenringe zu treten, sah im Spalt des Südosttors am 21. Dezember die Sonne aufgehen und im Südwesttor den Sonnenuntergang am gleichen Tag. Das dritte, nordwärts zeigende Tor könnte ein Meridianzeichen gewesen sein. Es ist das älteste bisher entdeckte europäische Bauwerk mit astronomischer Funktion und damit 4000 Jahre älter als der berühmte englische Steinkreis Stonehenge. Gauß ahnt natürlich nicht, dass am äußersten südöstlichen Rand seines Vermessungsterritoriums dicht unter der Ackerkrume die Überreste eines jungsteinzeitlichen Sonnenkreises verborgen liegen. Er wurde erst 2002 ausgegraben.
    Im Winter 1823/1824 hat sich das Komitee der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin noch immer zu keiner offiziellen Berufung von Gauß durchringen können. Aber die Studierstube auf der Göttinger Universitäts-Sternwarte erweist sich in der dunklen Jahreszeit als Werkstatt für die mathematische Feinmechanik seines verketteten Dreieckssystems. Sein ursprüngliches Ziel, Göttingen und Altona durch eine Kette möglichst großer Dreiecke zu verbinden, hat er im Herzen der Heide aufgeben müssen. Nun will er die Unsicherheiten und Fehler ausgleichen, die durch die Zerstückelung in viele Kleinstdreiecke aufgetreten sind. In seinen winterlichen Berechnungen berücksichtigt er auch die Kontrolldiagonalen, die im ersten Sommer zumeist aus Not entstanden sind. Es ist auch eine Frage der Wahrhaftigkeit: «… in einer Zeit, wo die Beobachter die Messungen wenn auch nicht fälschen, so doch im Hinblick auf die Übereinstimmung auswählen, ein nachahmenswertes Vorbild … und eine neue Anwendung der Methode der kleinsten Quadrate» [Gal: 87], kommentiert Andreas Galle, Herausgeber des geodätischen Werks von Carl Friedrich Gauß. Da sich ein Dreieck an das andere reiht, ergeben sich auch Vier- und Fünfecke. Der Fehlereliminator selbst spricht daher nicht nur vom sorgfältigen Ausgleich der Winkelsumme seiner Dreiecke, sondern auch von der «Harmonisierung der Seitenverhältnisse in den gekreuzten

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