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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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selbst, ist kaum auf eine gütliche Verständigung zu hoffen. Ausgerechnet bei diesem spröden Herrn über Wiesen, Felder und Wald am Rand des Hausselbergs will Gauß Quartier nehmen.
    Womöglich hat er schon beim Begrüßungshandschlag den entscheidenden Fehler gemacht und seinen Vornamen verraten. Seit mehr als tausend Jahren nennt kein Elternpaar in diesem Landstrich seinen Sohn Karl. Der Hass auf Karl den Großen oder Karl den Schlachter, wie er hier genannt wird, ist noch so gegenwärtig, als habe der erst letzte Woche mit den bewährten eisenblitzenden Argumenten versucht, die Heiden von Faßberg und Ober-Ohe zum Christentum zu bekehren. Das «Verdener Blutgericht» von 782, bei dem der Kaiser 4500 Bewohner dieser Gegend enthaupten ließ, weil sie sich ihm nicht unterwerfen wollten, ist hier unvergessen. Seitdem gilt Karl als ein «aischer», ein abscheulicher Name. Keine gute Voraussetzung, um einem Fremden mit diesem grässlichen Vornamen etwas so Fragiles wie Gastfreundschaft anzubieten. Andererseits kann Peter Hinrich den kleinen Schulmeister Carl aus Göttingen nicht einfach vom Hof jagen, denn der beruft sich recht überzeugend auf den König von England und wichtige Staatsgeschäfte. Aber der Heuschober muss für diesen Ruhestörer mit den durchdringenden blauen Augen genügen. Und so beklagt sich Gauß nach zehn Tagen Aufenthalt in Ober-Ohe bei Schumacher, halb amüsiert und halb genervt: «Dort lebt eine Familie, deren Haupt ‹Peter Hinrich von der Ohe zur [Ober-]Ohe› sich schreibt (falls er schreiben kann), dessen Eigentum vielleicht eine Quadratmeile groß ist, dessen Kinder aber die Schweine hüten. Manche Bequemlichkeiten kennt man dort gar nicht, z. B. einen Spiegel, einen Abort und dergleichen» [ShuI: 286]. *
    Am 17. Oktober 1822 kehrt Gauß mit seinen Helfern nach Göttingen zurück. Insgesamt ist er fünf Monate unterwegs gewesen und hat wertvolle Erfahrungen gesammelt. Nun will er auch die Messungen von Dreieckspunkten in die Berechnungen mit einbeziehen, die sich im Nachhinein als überflüssig erwiesen haben. Aber sie sind nötig gewesen, um sich Richtung Hamburg durchzukämpfen. Auch wenn er anschließend günstigere Punkte gefunden hat, so hielte er es dennoch für eine «Barberei», die Winkel einfach «umkommen» zu lassen [Olb2: 211]. Gauß spricht hier von einem «verketteten System» aller Erfahrungen, in dem beispielsweise «jeder auf dem Wilseder Berg beobachtete Winkel noch eine Reaktion auf die Winkel auf der hiesigen Sternwarte ausübt» [Olb2: 218]. Eine Menge Feinarbeit kommt da in den Wintermonaten auf ihn zu.
    Ob Gauß wohl die Abstraktionsfähigkeit besitzt, auch seine eigene Familie als ein verkettetes System zu betrachten? Die Schwächeanfälle seiner Frau Minna häufen sich. Inzwischen kränkelt sie nicht nur. Sie kann kaum etwas essen, ohne es nicht gleich wieder von sich zu geben. Verschlimmern sich die Schwindsuchtsymptome, weil ihr Mann den ganzen Sommer unterwegs ist und sie sich alleingelassen fühlt? Oder ist er den ganzen Sommer unterwegs, weil sich ihre Symptome verschlimmert haben und er Distanz vom Krankenbett seiner Frau braucht, um nicht zu verzweifeln? Auffälliger könnte der Kontrast kaum sein: Minna liegt im Bett, während ihr Carl in rastloser Eile fünf Monate lang auf der Jagd nach Koordinaten für seine Lichtdreieckskunst ist. Abwegig und unrealistisch wäre es, hier eine prima causa bestimmen zu wollen, aber die Frage muss erlaubt sein, ob die Situation nicht beide Ehepartner unausweichlich in den Sog des schlechten Gewissens hineinzieht. Minna spürt auch nach zwölf Ehejahren noch, dass sie Carls hohen Maßstäben von häuslichem Glück nicht gerecht werden kann, während er sich schlecht fühlen muss, seine kranke Frau allein zu Hause zu lassen, wo sich die dreizehnjährige Tochter um ihre Stiefmutter kümmert.
    In Königsberg reagiert Bessel auf die Gauß’schen Beschwerden über die Sommerhitze, die damit verbundenen «Fatiguen» und die Entbehrungen zwischen Wacholdersträuchern, Heidekraut und den viel zu hoch gewachsenen Waldkiefern etwas gereizt, indem er Gauß indirekt Zeitverschwendung vorwirft, die seinem Genie nicht gerecht werde. Gauß könne es sich doch nun wirklich leisten, sich auf die Messung zweier wichtiger Dreiecke zu beschränken, alles Weitere seinen eingewiesenen Helfern zu überlassen und den Rest des Sommers nachzudenken und seine Theorien auszuarbeiten. Bessel weiß, wovon er spricht, er hat selbst Erfahrungen im

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