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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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Gradmessungsgeschäft, aber Gauß weist ihn in ungewohnt aufbrausendem Tonfall zurecht, dass seine Assistenten ohne seinen Weitblick und seine Berechnungen nie den Durchbruch in der Heide geschafft hätten. Das ist zweifellos richtig. Dennoch fällt auf, dass er sich dieses Jahr keine Auszeit für einen Besuch zu Hause gegönnt hat. Vielleicht verlängert er auch unbewusst seinen Aufenthalt in der Heide. Denn wenn er einen Winkel bis zu 120-mal misst, um einen präziseren Durchschnittswert zu bekommen, stellt sich schon die Frage, ob das nicht ein Assistent machen könnte. Womöglich nimmt Gauß die Unbequemlichkeiten des Reisens und hinterwäldlerische Quartiere wie in Ober-Ohe klaglos in Kauf, wenn ihm dafür der tägliche herzzerreißende Anblick erspart bleibt, wie der Körper seiner Frau gegen die Nahrungsaufnahme rebelliert und damit unübersehbar zu verstehen gibt, dass er nicht weiterleben will.
    Die ärgsten Schwierigkeiten in der Heide sind überstanden. Auf dem Wilseder Berg bei Bispingen kann er bereits drei dänische Dreieckspunkte von Schumacher anvisieren. Das Ende der Gradmessung im kommenden Sommer ist absehbar. Dann bliebe ihm womöglich wieder mehr Zeit für Minna und die Familie. Aber Gauß ist besessen. Er weiß, dass er mit seinem Heliotropen und einem verfeinerten Verfahren zur Eliminierung von Messfehlern auch in der Höheren Geodäsie neue Maßstäbe setzen wird. So genau wie er hat noch niemand zuvor die Welt vermessen. Zwei Breitengrade von Göttingen nach Altona genügen ihm nicht mehr. Nun plant er bereits, von Olbers dazu angeregt, seine Vermessungen in westlicher Richtung auszudehnen. Über Bremen und Emden hinaus soll es bis zu den Ostfriesischen Inseln gehen, um Anschluss an das holländische Dreiecksnetz zu bekommen. Über dieses System wäre auch die Verbindung zu den englischen und französischen Messungen gesichert, ein paneuropäisches Netz von der Nordspitze Jütlands über die Pyrenäen bis nach Formentera. So ließe sich ein weiterer bedeutender Beitrag leisten, der wahren Gestalt der Erde auf die Spur zu kommen. Und daher kommt es auch wieder zu der seit zwei Jahrzehnten bewährten Arbeitsteilung zwischen Gauß und Olbers. Gauß trägt seine Wünsche vor, während Olbers die richtigen Hände schüttelt und sich um den Papierkrieg mit den Behörden kümmert. Und auch dieses Mal soll es nicht so aussehen, als liefe Gauß dieser Arbeit hinterher. Er möchte gebeten werden: «Urtheilen Sie nun selbst», schreibt er dem Freund, «ob Sie vielleicht durch Ihre Konnexionen ein Mittel haben, einen solchen Plan nur soweit in Anregung zu bringen, dass ich officiell veranlasst werde, mich darüber zu erklären» [Olb2: 229]. Natürlich findet der gewiefte Olbers Gehör beim Bremer Senat und beim agilen Bürgermeister Johann Smidt.
    Eine Woche vor Ostern stürzt Gauß in Göttingen von einem nicht zugerittenen Pferd aufs Straßenpflaster. Er kommt mit Prellungen, Quetschungen und dem buchstäblich blauen Auge davon. Es ist sein Beobachtungsauge, unter dem sich der Bluterguss in «Regenbogenfarben» präsentiert. Nach einem kurzen Besuch bei Olbers in Bremen beginnt er am 30. Mai mit den eigentlichen Triangulationen bis Lüneburg und Hamburg. Als er in den südlich von Lüneburg gelegenen Ortschaften Timpenberg und Nindorf den Hambuger St. Michaelisturm anpeilen will, plagt ihn wieder die vom Qualm der Moorbrände verhangene Luft. Aber auch bei einigermaßen freiem Blick auf den Michel bestätigt sich seine schlechte Erfahrung mit Türmen. Die horizontalen pendelartigen Schwankungen des Turms machen einen Messfehler bis zu einer halben Winkelminute aus. Nie sei der Michel ruhig gewesen, wenn er ihn beobachtet habe, klagt er, sodass er ihn zusammen mit dem Brocken als seinen schlechtesten Stand- und Zielpunkt bezeichnet [GauIX: 382].
    Am 21. Juli ist er unerwartet wieder in Göttingen, weil ihn unterwegs die Nachricht erreichte, dass Minna schwer erkrankt sei. Allerdings unterbricht er die Rückreise in Hannover und nutzt das gute Wetter, um mehr als 100 Beobachtungen von Kirchtürmen und anderen Punkten im Hildesheimer Land zu machen. Er äußert sich nicht ausführlicher über Minnas Zustand, aber es ist offenbar ein Wendepunkt in ihrer Krankengeschichte erreicht, der die Einstellung einer zusätzlichen Haushaltshilfe verlangt. In einem anderen Zusammenhang kommt Gauß noch einmal darauf zurück. Er hat nämlich den Preis für die diesjährige Preisaufgabe der Copenhagener Societät

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