Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
Vom Netzwerk:
Vierecken und Fünfecken … und zwar ohne alle Willkür, ohne Auswählen, ohne Ausschliessen, alles nach der Strenge … meiner neuen [Wahrscheinlichkeits-]Theorie» [GauIX: 359]. Gauß hat alle Winkel in den 26 Dreiecken selbst gemessen. Bei der Ausgleichung am Schreibtisch hat sich keine Richtung auch nur um eine einzige Sekunde geändert. Der mittlere Fehler beträgt 0,48 Sekunden. Vor mehr als 20 Jahren hat Gauß den Faktor Willkür in der Berechnung der Planetenumlaufbahnen eliminiert und für eine Revolution in der theoretischen Astronomie gesorgt. Jetzt führt er die erfolgreiche Methode der kleinsten Quadrate zur Fehlerminderung in die Höhere Geodäsie ein.
    Nach Beendigung der Triangulation über Hügel und Moore, durch Heide und dichte Wälder ist die geodätische Verbindung zwischen den beiden Sternwarten hergestellt. Jetzt steht noch die astronomische Ermittlung der Breitengrade für den Anfangs- und Endpunkt aus. Schumacher findet durch Sternbeobachtungen mit dem Meridiankreis heraus, dass der Unterschied zwischen der astronomischen und geodätischen Verbindung 5,2 Sekunden beträgt, ein Wert, der nicht auf Messfehlern beruhen kann, sondern andere Ursachen haben muss. Gauß tippt auf das Phänomen der Lotabweichung. Isaac Newton hat gezeigt, dass jedes Teilchen im Universum eine Anziehungskraft auf jedes andere Teilchen ausübt, und nannte diese Tatsache universelle Gravitation. Aus der Gesamtgravitation der Erde und der Fliehkraft der Erdrotation resultiert der Schwerevektor. Die Lotrichtung des Schwerevektors hat wegen der unterschiedlichen Verteilung der Erdmasse an jedem Ort und Vermessungspunkt einen anderen Wert. So krümmt etwa ein Mittelgebirge wie der Harz mit seinem Brockenmassiv die Lotrichtung stärker als das Teufelsmoor bei Bremen. Und das ist die Lotabweichung. Für Gauß ist nun der astronomisch gemessene Breitengrad der «wahre Wert». Die Breitengrade können mit den terrestrischen Entfernungen nicht Schritt halten. Sie würden nur dann gleichmäßig fortschreiten, wenn auch die Erde in ihrem Inneren gleichmäßig geformt wäre. Da dies nicht zutrifft, ergeben sich Differenzen zwischen geodätischer und astronomischer Messung. Und noch ein Ergebnis der Gradmessung setzt Gauß in Erstaunen: Schumachers Sternwarte in Altona und sein Göttinger Observatorium liegen «durch ein merkwürdiges Spiel des Zufalls auf weniger als eine Hausbreite in einerlei Meridian» [GauIX: 6].
    In den Sommermonaten der Jahre 1824 und 1825 nimmt der Kampf des Perfektionisten gegen die Hindernisse im Wald und auf der Heide auch im Westen des Königreichs Hannover kein Ende. Wieder behindert der Dunst der Moorbrände die Arbeit erheblich. Manchmal ist die Luft so verpestet, dass die Vermesser zum Nichtstun verdammt sind.
    Welche Konsequenzen die Luftverpestung für die Arbeit mit sich bringt, wird Gauß erst richtig bewusst, als er bei klarer Sicht auf den Turm von St. Ansgarii in Bremen steigt und von dort aus den Kirchturm von Zeven anpeilen kann. Wochen zuvor ist Zeven in Moordunst gehüllt gewesen, sodass er von dort aus die direkte Verbindung mit Bremen nicht einmal erkennen konnte. Da vom Zevener Kirchturm auch der Wilseder Berg im Osten zu sehen ist, wird er zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt im Elbe-Weser-Dreieckssystem. Sohn Joseph zieht in der Turmspitze eine Eichenbohle ein, um einen festen Standort für die Instrumente zu schaffen. Aber auch bei reiner Luft und klarer Sicht spürt der unbestechliche Fehlereliminator neue Ursachen der Messungenauigkeiten auf. In den Vormittagsstunden und am frühen Nachmittag arbeitet er inzwischen nicht mehr mit dem Heliotrop. Da wird das Licht wegen zu starker Luftdichte gebrochen, ändert seine Richtung und streicht nahe über die Erdoberfläche hinweg. Die Luft «wallt» dann so stark, dass keine scharfen Messungen möglich sind. Dabei zerfließt das Heliotroplicht häufig zur Gestalt eines kleinen Kometen.
    Bei Brüttendorf in der Nähe von Zeven gelingt ihm ein Durchhau zu einer Erhebung namens Litberg. Diese größte Schneise im Elbe-Weser-Dreieck wird erneut zu einem Triumph der Mathematik. Mit einer Genauigkeit von zwei Bogensekunden kommt die Verbindungslinie zustande, sodass die Seiten von drei Dreiecken fast eine einzige gerade Linie zwischen Hamburg und Bremen bilden. «Schönheit und Rundung» seines Dreieckssystems sind ihm ebenso wichtig wie Messgenauigkeit [Olb2: 334]. Wie in den drei Jahren der Messungen zwischen Göttingen und Altona schwankt

Weitere Kostenlose Bücher