GB84: Roman (German Edition)
herausstürmen, sieht sie übel gelaunt davonstapfen und ihre Bürotüren zuwerfen –
Sie räumen ihre Schreibtische aus, schreiben Kündigungen, zerknüllen sie wieder und werfen sie in Richtung Papierkörbe –
Treffen aber nie.
Neil weiß, wie sie sich fühlen. Der Jude hat all seine neuen Freunde und deren Familien am Wochenende nach Colditz eingeladen. Er will sie mit seinem Wohlstand in Erstaunen versetzen, sie mit Überfluss beeindrucken. Der Jude wird sie in seinem Privathubschrauber herumfliegen, in seinem Golfbuggy über das Gelände fahren, auf seinem elektrischen Rasentraktor herumkutschieren und mit ihnen auf den Teich hinausrudern. Sie können Billard spielen und mit Pfeilen auf Dartscheiben werfen, die er extra für ihren Besuch angeschafft hat. Er wird die Kinder mit seinen Pferden und Ponys spielen lassen, mit seinen Hunden und Falken, während die Mütter und Väter so viel essen und trinken, wie sie mögen. Sie werden in seinen Himmelbetten schlafen, sich in seinen Porzellanbecken waschen, in seine Porzellantoilettenschüsseln scheißen, hinter seinem Rücken über die Kleidung lachen, die er trägt, und über die Dinge, die er sagt und tut –
Neil Fontaine wäre es lieber, er würde diese Leute nicht einladen.
Er hasst diese Bergleute und ihre verfluchten Familien –
Er hasst den ganzen beschissenen Streik und all die Arschlöcher, die damit zu tun haben.
Neil zerknüllt sein eigenes Kündigungsschreiben. Er wirft es in Richtung Papierkorb –
Verfehlt ihn meilenweit.
Er wird noch sein Tod sein, denkt Neil, dieser verdammte Streik –
Jedermanns Tod
.
Terry Winters stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz am Bahnhof von Doncaster ab. Er stieg aus und schloss ab. Dann wartete er vor dem Bahnhofsgebäude. Diane holte ihn um zwei Uhr ab, sie fuhren nach Bentley, dann die York Road entlang. Sie hielten vor einem Block alter Reihenhäuser, überquerten die Straße und gingen zu einem kleinen Laden an der Ecke, einem Spirituosen- und Zeitschriftenladen. Diane öffnete die Tür, Terry folgte ihr. Hinter dem Tresen stand eine asiatische Familie. Diane wies auf den Mann, mittleres Alter, Vater von vier Kindern. »Terry«, sagte Diane, »ich möchte dich mit Mohammed Abdul Divan bekannt machen.«
Malcolm hörte sie nicht mehr, weil er nicht träumte. Er träumte nicht, weil er nicht schlief
–
Er lag auf dem Boden zwischen Bett und Tür, Kopf nach links, Ohr auf dem Boden. Er schaute zu, wie die Nacht über den Teppich und die Bodendielen marschierte, dann die vier Wände hinauf. Sonnenlicht wich den Schatten. Er lag auf dem Boden zwischen Bett und Tür und wünschte sich, es wäre nicht so
–
Wünschte sich, dass Licht niemals Schatten weichen würde
.
Er stand auf, nahm die Doppelkassettenschachtel von
The War of the World
heraus und öffnete sie. Zwei Kassetten
–
Er nahm die erste Kassette und schob sie in den Rekorder. Seite B
–
Er drückte auf Vorlauf. Stopp. Regulierte den Ton. Drehte leise
–
Drückte auf Play und spielte alles ab
–
»… und wieder rein, wenn du mir nicht verflucht noch mal verrätst, wo es ist, verdammt …«
»… bitte. Ich kriege keine Luft …«
»… dann sag uns einfach, wo es ist, du verfluchte alte Schlampe …«
»… hab doch schon gesagt, es ist nicht …«
»… spuck’s aus, sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als …«
»… aufhören, nicht …«
»… das gefällt dir doch, verdammt, ich weiß es …«
»… nein, nein …«
»… du liebst es wirklich, du …«
»… nein …«
»… wieder rein, Oma …«
»…«
Zwischen Bett und Tür. Augen geschlossen, Kopf auf dem Boden
–
Malcolm lauschte, wie die Nacht über die Erde marschierte, wie die Welt wieder dunkel wurde
.
Zwischen Bett und Tür. Seine Ohren bluteten und bluteten
–
Wie sehr er sich wünschte, es wäre nicht so
.
Er öffnete die Augen und stand auf. Er ging zu seiner Aktentasche und nahm die Schere heraus
.
Unten vögelte ein Paar, vögelte und stritt, stritt und
–
Betten knarzten, Kopfenden hämmerten gegen Wände. Wände bebten
–
Sie hatten sich wieder versöhnt
–
Neil und Jennifer, Jennifer und Neil. Terry und Diane, Diane und Terry
–
Malcolm und seine Schere. Seine Schere und seine Ohren
.
Jetzt ging es nur noch um Zahlen, nicht mehr um Worte. Zahlen –
150 letzte Woche, 170 diese Woche.
Zahlen. Ziffern.
Der Präsident rief sie im zehnten Stock zusammen. Sie sollten sich setzen. Er verkündete, was sie schon wussten. Sie hatten
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