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GB84: Roman (German Edition)

GB84: Roman (German Edition)

Titel: GB84: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Peace
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schon ging die Öffentlichkeit auf die Barrikaden. Das Tier tat mir leid – war doch nur ein Pferd. Pferde und Scabs – Die armen Kerle in den Bussen. Ihre verschreckten Gesichter hinter den angeschweißten Fenstergittern – Fahrer mit Sturzhelmen. Bullen auf den Rücksitzen. Die armen Kerle saßen auf der anderen Seite – aber ich kannte die Gesichter. Alle kannten sie – Solche Gesichter fanden sich in jeder Zeche. Gesichter mit kleinen Augen, die einen nie direkt ansahen. Augen, die eher ihre Stiefel oder den Boden anstarrten. Gesichter einer ganz bestimmten Art. Von Kerlen, die die Arbeit hassten. Die öfter krankgeschrieben waren. Die sich nie anstrengten. Kerle, die andauernd verlangten, die Gewerkschaft sollte dies oder jenes für sie tun. Geduckte, gebrochene Männer, noch bevor der Streik überhaupt angefangen hatte. Drückeberger oder Speichellecker. Die Gebietszechendirektoren und Chief Constables hatten sich auf sie gestürzt und sie erneut gebrochen – Es war nicht ihre eigene Idee gewesen. Die Zechendirektoren kannten diese Typen nur zu gut – von früher. Sie wussten, was sie wert waren –
Nichts. Nicht das Geringste
– Genau wie dieser Streikbrecher, den sie hier in Silverwood wieder zur Arbeit gekriegt hatten. Wenn wir nicht gewesen wären, sagte Derek, hätten die den schon vor Jahren gefeuert. Tom nickte. Das geht mir voll auf den Senkel – Und jetzt schau dir das Arschloch mal an, fuhr Derek fort. Macht den lauten Max in seiner frischen Arbeitsklamotte – Den kriegen wir auch noch dran, sagte ich. Der kriegt noch sein Fett weg. Und das weiß er. Alle nickten. Der Tag wird schon kommen, sagten alle. Wie wär’s mit Montag?, fragte David Rainer. Arthur will uns in der ersten Reihe haben – Er würde es ja selbst machen, sagte ich. Aber er hält eine Rede vor dem Gewerkschaftskongress, oder? Gibt mal wieder Gerede von großen Rückkehrerzahlen, sagte Johnny – Würde schlecht aussehen, wenn ’ne Menge Kumpel wieder zur Arbeit gingen – Das sehe ich nicht, meinte Tom. Nicht Montag. Alle schüttelten die Köpfe. Nicht hier. Nicht Montag – Na egal, sagte Derek. Haltet Augen und Ohren offen – Aye, sagte Johnny. Einen gibt’s immer – Alle nickten. Alle wussten, er hatte recht – Wussten, es würde noch schlimmer werden. Viel, viel schlimmer – nicht diesen Montag. Nicht nächsten – Aber irgendwann. Ging ja nicht anders. Alle wussten es. Alle kannten einen.

SECHSUNDZWANZIGSTE WOCHE
    Montag, 27. August – Sonntag, 2. September 1984
    Jennifer setzt ihre Sonnenbrille auf. Sie fährt sich mit den Händen durch die blonden Haare und bindet sie am Hinterkopf zusammen. Sie schaut Neil Fontaine mürrisch an und streckt ihm die Zunge raus –
    »Soll ich dir vielleicht ein Bild malen, verdammt?«
    Neil steht von der Bettkante auf. Er hat das Notizbuch noch in der Hand. Die Jahre liegen in Schnipseln auf dem Boden. Er zieht den Vorhang zum Morgen auf –
    Jennifer wirft die Hoteltür hinter sich zu –
    Neil steht am Fenster. Im echten und im elektrischen Licht –
    Der allerletzte dieser Augenblicke
.
    Der Jude schläft neuerdings auch nicht mehr. Er macht sich zu viele Sorgen, was die Zukunft bringt. Er wartet nicht auf den Türsteher und nicht auf Neil. Er macht sich die hintere Tür des Mercedes selbst auf und schlägt sie zu –
    »Downing Street«, bellt er.
    »Gewiss, Sir.«
    Der Jude versinkt in der Rückbank. Die Premierministerin hat ihren Urlaub abgekürzt und wegen der wirtschaftlichen Lage ihre Reise in den Fernen Osten abgesagt. Das ist dem Juden peinlich, er schüttelt den Kopf. Er möchte Nägel mit Köpfen machen und murmelt etwas von einer Gefahr, die in den Docks lauert, vom TUC, von schwachen Geistern im NCB. Krumme Nägel ohne Köpfe –
    »… hab ihr gesagt, gehen Sie nur. Ich kümmere mich um alles. Aber diese lüsternen Blutsauger waren anderer Meinung. Margaret, Margaret, Sie können uns doch nicht allein lassen. Das dürfen Sie nicht. Das Pfund fällt, unsere Aktienkurse rauschen in den Keller, unser Schiff geht unter. An etwas anderes können die gar nicht denken, Neil. Hauptsache, sie füttern ihre fetten Visagen. Hauptsache, sie retten ihre eigenen erbärmlichen Egos. Sie haben keinerlei Konzept, Neil, keinerlei umfassendes Bild. Der Krieg …«
    Der Jude trägt dieselben Sachen wie gestern.
    »Zwei Schritte vorwärts«, sagt der Jude bei sich, »einen Schritt zurück.«
    Neil hält am Ende der Downing Street.
    Der Jude seufzt.
    Neil öffnet den Wagenschlag.

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