Gebannt: Band 3 (German Edition)
treffen konnte. Sobald wir angekommen waren, wurde ich mit Eimer und Schaufel bei der Hotel-Nanny abgesetzt. Ich sah ihn erst wieder, als wir ins Auto stiegen, um nach Hause zu fahren.
Ich war am Boden zerstört. Dad merkte das gar nicht. In den ersten beiden Stunden unserer Rückfahrt schwiegen wir. Ich verbrachte die ganze Zeit damit, Mut zu sammeln, um ihm zu sagen, was ich von diesem sogenannten » Wochenendausflug« hielt. Ich war kurz davor gewesen, den Mund aufzumachen, als es passierte.
Wir waren au f der Autobahn. Hier ist man so schnell unterwegs – wenn irgendetwas schiefgeht, nimmt es meistens ein schlimmes Ende.
Ich erinnere mich daran, wie ich ihn eindringlich anstarrte und ihn mit dem Blick einer Siebenjährigen dazu zu bringen versuchte, zu mir herzuschauen, als es plötzlich einen lauten Knall gab, dann noch einen – wie Explosionen. Sie waren so nah, so unmittelbar, so gefährlich. Bevor ich irgendetwas sehen konnte, fuhren wir direkt in einen Kombi. Mein ganzer Körper machte einen Ruck nach vorne, der Sicherheitsgurt nützte nicht viel, um mich – schmächtig, wie ich war – an meinem Platz zu halten. Wenn Dads Hand mich nicht nach hinten gedrückt hätte, wäre ich geradewegs durch die Windschutzscheibe geflogen. Bis heute habe ich keine Ahnung, wie er so schnell reagieren konnte.
Unsere Motorhaube wurde zerdrückt wie ein Stück Papier. Damp f und Qualm kamen aus dem Auto und verschmolzen mit der erhitzten Luft dieses heißen Sommertages, sodass die Realität unwirklich flimmerte.
Dad schrie mich an. Zuerst dachte ich, er wäre wütend au f mich, aber dann merkte ich, dass er vor Angst außer sich war. Ich nickte ängstlich, und das schien ihn zu beruhigen, die starre Anspannung in seinem Gesicht ließ etwas nach. Dann blickten wir nach vorne.
Wir waren nicht der Hauptunfall. Wir waren gerade mal das hintere Ende.
Drei oder vier Autos waren vor uns, alle unterschiedlich stark zusammengedrückt. Und vor ihnen konnte man einen Lastwagen sehen und möglicherweise ein weiteres Auto. Da war ich mir nicht sicher.
Dad stieg aus und ging um unser Auto herum. Ich weiß nicht, wonach er suchte, auslaufendes Benzin vielleicht. Was immer er sah, es stellte ihn so weit zufrieden, dass er mir befahl, im Auto zu bleiben und mich nicht vom Fleck zu rühren, bis er zurückkam. Ich beobachtete, wie er zu dem Kombi ging, in den wir gefahren waren. Den Insassen in den Fahrzeugen vor uns ging es gut, merkte ich, denn Dad blieb nicht lange bei jedem Auto stehen, als er die Reihe abschritt.
In der Ferne hörte ich Sirenen, aber als ich mich umschaute, sah ich, dass der Verkehr zum Stillstand gekommen war. Offenbar würde es einige Zeit dauern, bevor sich ein Krankenwagen den Weg durch die stehenden Autos würde bahnen können.
Um mich herum kamen die Menschen in Bewegung, sie rannten nach vorne zur Unglücksstelle.
Plötzlich war ich auch draußen und wurde von der Welle der Menschen erfasst. Ich konnte Dad weiter vorne rennen sehen. Er erreichte den Lastwagen als Erster, und ich dachte, er würde jemandem helfen. Aber als ich näher kam, sah ich ihn in der Lücke zwischen den Autos. Er bückte sich.
Ich hastete au f ihn zu, weil ich dachte, er wäre verletzt. Ich hatte ihn nicht einmal gefragt, ob er okay war, als er aus dem Auto stieg. Ich schlängelte mich zwischen den Zuschauern hindurch und wich Wrackteilen aus, aber als ich die freie Fläche erreichte, au f der Dad stand, erstarrte ich abrupt.
Er war nicht dabei, jemandem zu helfen. Er wusste nicht, wie.
Der Lastwagen war geradewegs über ein kleines Familienauto gefahren. Es war vollkommen zerquetscht. Der Lastwagenfahrer lebte. Er saß noch immer au f dem Fahrersitz. Er schien überhaupt nicht verletzt zu sein. Zumindest nicht äußerlich.
Aber ich sah sein Gesicht.
Er blickte mich direkt an. Hinter seinem Gesicht war keine Spur von Leben zu erkennen, und als er mich ansah, wusste ich – obwohl ich nur ein Kind war –, dass er sich verzweifelt wünschte, er hätte dasselbe Schicksal erlitten.
Es war seine Schuld.
Als Lincoln durch die Tür hinter mir gestürzt kam, riss ich mich von meinen Erinnerungen los und sah nur noch die Szene, die sich mir bot. Dapper lag au f dem Boden neben der Minibar, blutend und verstümmelt. Seine Wohnung war auseinandergenommen worden, als wäre eine Herde Elefanten hindurchgetrampelt und hätte dann noch mal eine zweite Runde gedreht, um ganz sicherzugehen, auch alles erwischt zu haben.
Ich war kaum ein
Weitere Kostenlose Bücher