Gebannt - Unter Fremdem Himmel
halten. Dorthin werden die Kräher uns nicht folgen.«
Misstrauisch kniff Aria die Augen zu Schlitzen. »Und wieso sollten sie uns nicht nach Osten folgen?«
»Wölfe«, sagte Roar nur.
»Unsere beste Chance besteht also darin, während eines Äthersturms aufzubrechen und ein Gebiet voller Wölfe zu durchqueren?«
Roar grinste. »Entweder das oder sechzig Kräher.«
»Also gut«, sagte sie und hob das Kinn. »Alles, nur nicht die Krähenmänner.«
Am Nachmittag lief Perry mit Roar unruhig auf dem Dach hin und her. Während des Vormittags hatten sie ihre Route geplant und ihre Sachen gepackt. Nun mussten sie nur noch darauf warten, dass ein Sturm aufkam. Über ihnen bewegte sich der Äther in gleichmäßigen Strömen. Heute würden sie keinen Sturm mehr erleben, aber morgen vielleicht. Je eher, desto besser!
Doch wie sollte er die Zeit des Wartens überbrücken? Warten hieß innehalten. Es hieß nachdenken . Er wollte aber nicht darüber nachdenken, was inzwischen mit Talon und Vale bei den Siedlern passierte. Wie war es möglich, dass Talon dort bleiben wollte? Wie war es dazu gekommen, dass man Vale geschnappt hatte? Warum durchstreifte Liv das Grenzland, wenn sie wusste, welchen Preis die Tiden dafür zahlten?
Im selben Moment packte Roar ihn fest an den Schultern und rang ihn zu Boden, ehe Perry auch nur begriff, wie ihm geschah. »Eins zu null«, grinste Roar.
»Du hinterhältiger Mistkerl.« Perry stieß Roar weg, und das Spiel begann.
Wenn sie miteinander rangen, behielt Perry normalerweise die Oberhand, doch wegen seiner Hand ließ er es ruhiger angehen. Deshalb waren sie einander diesmal ebenbürtig. »Selbst Talon ringt besser als du, Ro«, spottete er, während er Roar aufhalf, nachdem er einen Punkt gewonnen hatte. Perrys Stimmung hellte sich allmählich auf. Er hatte zu lange untätig herumgesessen.
»Liv ist auch ziemlich gut.«
»Sie ist meine Schwester .« Perry machte einen Satz auf ihn zu, brach den Angriff jedoch in der Sekunde ab, als Aria aus der Fahrstuhltür trat. In ihrem Beisein würde er Roar auf keinen Fall in seine Gedanken einweihen. Allerdings konnte er nicht umhin festzustellen, dass Aria die eng geschnittenen weißen Sachen gegen gut sitzende schwarze Kleidung getauscht und sich das Haar zurückgebunden hatte.
Roars Blick wanderte von Perry zu Aria, und ein wissendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Und in dem Moment wusste Perry, dass er in Schwierigkeiten steckte.
»Störe ich?«, fragte Aria verwirrt.
»Nein. Wir waren gerade fertig.« Perry schnappte sich seinen Bogen und ging steifbeinig davon. Er hatte eine Holzkiste auf das Dach gezerrt, die ihm als Zielscheibe diente. Nun legte er an, was ihm einen dumpfen Schmerz in der Hand verursachte.
»Du kommst gerade richtig, Aria«, sagte Roar hinter ihm. »Schau dir das an: Perry ist bekannt für sein Talent im Umgang mit dem Bogen.«
Perry schoss. Der Pfeil drang krachend in das Kiefernholz.
Roar pfiff. »Beeindruckend, nicht wahr? Was für ein toller Schuss!«
Perry wirbelte herum, unschlüssig, ob er lachen oder Roar umbringen sollte.
»Kann ich es mal versuchen?«, bat Aria. »Ich sollte mich verteidigen können, wenn wir draußen unterwegs sind.«
»Stimmt«, pflichtete er ihr bei. Alles, was sie jetzt lernte, würde ihnen helfen, sobald sie sich aus dem Schutz der Mauer hinauswagten. Perry demonstrierte ihr, wie man den Bogen hielt, und zeigte ihr auch, wie sie ihre Füße positionieren musste. Dabei stellte er sich so in den Wind, dass er ihrem Geruch ausweichen konnte. Als es jedoch daranging, einen Pfeil aufzulegen, reichten Worte allein nicht mehr aus. Das Spannen eines Bogens erforderte Kraft und Ruhe, Rhythmus und Übung. Für ihn war das nicht schwerer, als zu atmen, doch er erkannte sofort, dass er es ihr nur beibringen konnte, wenn er sie durch den gesamten Bewegungsablauf führte.
Er wappnete sich und trat hinter sie. Als er einatmete, strömte ihre Stimmung direkt durch ihn hindurch, und ihre Nervosität mischte sich mit seiner eigenen. Dann kam ihr Veilchenduft und lenkte seine Aufmerksamkeit vollends auf sie – auf ihr Gesicht aus dieser Nähe, direkt vor ihm. Ungelenk versuchte er ihr zu zeigen, wie sie den Bogen halten musste. Ihre Hand lag dort, wo sonst seine hingehörte, und er wollte nicht, dass die Bogensehne zurückschnellte und sie traf.
Roar war auch keine große Hilfe – ganz im Gegenteil: »Du musst näher an sie heran, Peregrine«, rief er ihm zu. »Und ihre
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