Gebannt - Unter Fremdem Himmel
und schneller. Der Anblick erinnerte sie an Van Goghs Sternennacht , direkt vor ihren Augen.
Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie an diesem Tag aufbrechen würden.
Sie hob das Holzmesser auf. Am Vortag hatte sie Roar zweimal getroffen. Viel war das nicht, im Vergleich mit den Hunderten Malen, bei denen er ihr einen Stich versetzt hatte, aber bei einem Messerkampf war ein einziger guter Treffer alles, was man brauchte. Das hatte sie von Roar gelernt.
Aria gab sich nicht der Illusion hin, jemals eine Meisterin im Messerkampf zu werden. Das hier waren nicht die Welten, in denen der bloße Gedanke ein Ergebnis ablieferte. Doch sie wusste, dass sie nun eine bessere Chance hatte. Und im Leben, zumindest in ihrem neuen Leben, waren Chancen das Beste, worauf sie hoffen konnte. Sie waren wie ihre Steine – unvollkommen, überraschend und auf lange Sicht vielleicht besser als Gewissheiten. Chancen, so fand sie, waren das Leben.
Am Horizont begann der Äther, blaue Leuchtfackeln auf die Erde hinabzuschleudern, die Aria als Trichter wiedererkannte. Fasziniert beobachtete sie das Geschehen, während tief in ihr etwas erwachte, wie ein wärmender Wirbel durch ihren Körper aufstieg und ihr eine Kraft verlieh, die so gewaltig war wie der Niemalshimmel.
Da sie früh auf das Dach hinaufgefahren war, beschloss sie, noch einige Übungen allein durchzugehen. Das Geräusch des Windes, der über die Betonfläche strich, wirkte beruhigend, und sie verlor sich ganz in der Konzentration auf ihre Bewegungen. Als sie schließlich Perry entdeckte, wusste sie nicht, wie lange er schon dort gestanden hatte. Er lehnte am Holzgeländer, hatte die Arme verschränkt und starrte über die Baumwipfel in die Ferne. Sie war überrascht, ihn zu sehen. Zwar hatte Perry ihre Übungsstunden mit Roar immer beobachtet, dabei aber deutlich Abstand gehalten. Und an anderen Orten von Delphi hatte sie ihn kaum zu Gesicht bekommen. Mittlerweile war sie sich gar nicht mehr so sicher, ob er sie überhaupt noch nach Bliss bringen wollte.
»Ist es Zeit?«, fragte sie.
»Nein.« Perry hob das Kinn. »Aber es sieht vielversprechend aus. Heute Abend, würde ich sagen.« Er hob das andere Übungsmesser auf. »Roar schläft noch. Bis er hier ist, werde ich mit dir üben.«
»Oh«, sagte sie, weil das besser war, als ein überraschtes »Du?« auszustoßen – wie sie es fast getan hätte. »Okay.« Aria holte langsam Luft, während sich ein nervöses Gefühl in ihrem Magen ausbreitete.
In dem Moment, als sie einander gegenüberstanden, wusste sie, dass diese Übungsstunde völlig anders verlaufen würde. Perry war viel größer und kräftiger als Roar. Furchtlos und direkt. Nichts im Vergleich zu Roars leichtfüßiger Anmut. Und es war Perry .
»Ist das die Hand, mit der du normalerweise kämpfst?«, erkundigte sie sich. Er hielt das Messer in der gesunden Hand und hatte die bandagierte ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten.
Perry grinste. »Ja, aber wenn du mich besiegst, ändere ich meine Meinung vielleicht.«
Arias Wangen glühten. Sie konnte ihn nicht anschauen, musste jedoch in seine Richtung sehen. Sei bereit. Leicht auf den Füßen. Achte auf die Zeichen. Roars Lektionen wirbelten ihr durch den Kopf. Doch als sie in Perrys Augen starrte, dachte sie nur noch daran, wie grün sie waren. Was für starke Schultern er hatte. Wie stattlich er doch war. Schließlich konnte sie ihre eigenen übermütigen Gedanken nicht mehr ertragen. Sie machte einen Satz nach vorn. Er wirbelte rechts an ihr vorbei, wobei seine Bewegungen einen stärkeren Luftzug auslösten und sich die Lichtverhältnisse stärker änderten als bei Roar.
Als sie sich erneut gegenüberstanden, lächelte Perry.
»Was ist?«, wollte sie wissen.
»Ich weiß nicht.« Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
»Lachst du etwa?«
»Ja, ich geb’s zu. Obwohl es deine Schuld ist. Aber ich entschuldige mich trotzdem.«
»Es ist meine Schuld, dass du lachst?« Hielt er sie für so einen leichten Gegner? Aria machte eine blitzschnelle Bewegung nach vorn, bei der sie die Holzklinge in einem niedrigen Bogen führte. Perry sprang zur Seite, doch Aria streifte ihn am Arm.
»Nicht schlecht«, sagte er, noch immer lächelnd.
Aria wischte sich die schweißnasse Hand an der Hose ab. Perry nahm wieder seine Grundhaltung ein, doch nur für einen kurzen Moment. Dann richtete er sich auf und warf sein Messer beiseite.
»Was tust du?«, fragte sie.
»Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich
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