Gebannt - Unter Fremdem Himmel
mit einer Krankheit infiziert? Würde sie in dieser Höhle sterben, eingehüllt in diese blaue Fleecedecke? Sie holte ein paarmal langsam und tief Luft. Solche Gedanken würden sie nicht weiterbringen.
Neben dem Lederbeutel des Außenseiters standen Vorräte, doch sie würde seine Sachen auf keinen Fall anfassen. Sie humpelte zu den Stahlkisten. In ihnen lagerten zerbrochene Gegenstände aus Kunststoff und Glas, außerdem Flaschen mit Medikamenten. Aber sie waren vollkommen nutzlos. Bei allen war das Haltbarkeitsdatum vor mehr als dreihundert Jahren abgelaufen, noch in den Zeiten der Einheit, als der Äther die Menschen gezwungen hatte, in Biosphären Zuflucht zu suchen. Schließlich entdeckte Aria einen sterilen Verband, der im Lauf der Zeit zwar vergilbt war, seinen Zweck jedoch erfüllen würde.
Als Aria die Decke hochzog, schnappte sie erstaunt nach Luft: Ihre Füße waren bereits verbunden. Der Barbar hatte die Wunden an ihren Füßen versorgt.
Er hatte sie berührt.
Sie fasste nach dem Rand der Kiste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Eigentlich war das ein gutes Zeichen. Wenn er sich um ihre Füße kümmerte, dann konnte er ihr nichts Böses wollen. Oder vielleicht doch? Die Idee an sich war logisch, aber allein schon der Gedanke an den Barbaren löste in ihr eine neue Woge der Angst aus.
Er war ein wildes Tier. Riesig. Muskulös, aber nicht so wie Soren. Der Barbar erinnerte sie an die Reiterwelten und daran, wie jede Bewegung der Pferde einen Reigen von schlanken, unter der Haut wogenden Muskeln auslöste. Er trug Tätowierungen, genau wie in den Geschichten. Zwei gemusterte Bänder um jeden Bizeps. Als er ihr den Rücken zugewandt hatte, hatte sie eine weitere Zeichnung auf seiner Haut entdeckt, eine Art Falke mit Flügeln, die sich von Schulter zu Schulter spannten. Sein Haar sah aus, als hätte es noch nie eine Bürste gesehen. Verfilzte, blonde Strähnen, alle ungleichmäßig in Länge und Farbe, die in sämtliche Richtungen abstanden. Als er geredet hatte, hätte sie schwören können, dass die dabei hervorblitzenden Eckzähne ein wenig zu hundeartig wirkten. Aber das Grässlichste waren seine Augen.
Aria hatte schon Augen in allen möglichen Farben gesehen – das war die große Mode in den Welten. Noch im vergangenen Monat war Violett populär gewesen. Aber die Augen des Barbaren waren hellgrün und reflektierend, so wie der gespenstische Blick eines nachtaktiven Tieres. Mit einem Schaudern wurde ihr plötzlich klar, dass sie echt sein mussten.
Sie schaute sich um und kaute dabei auf ihrer Unterlippe herum. Eine Höhle . Was tat sie hier? Wie war sie hierhergekommen? Das Feuer war mittlerweile in sich zusammengefallen, und sie konnte die Wand, an der sie gesessen hatte, nicht mehr erkennen. Die Vorstellung, hier allein im Dunkeln zu sitzen, ohne irgendetwas hören oder sehen zu können, behagte ihr nicht. Also legte sie die Decke wie eine Toga um sich und nutzte den Verbandsmull als Gürtel, damit sie sich besser bewegen konnte. Dann verließ sie die Höhle.
Sie entdeckte den Barbaren auf einem Felsen am Rand jenes zerklüfteten Hangs, auf dem sie gestürzt war. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und sie noch nicht gehört. Aria hielt am Höhleneingang inne, drei, vier Meter von ihm entfernt. Näher heran wollte sie nicht, also blieb sie stehen und schlang die Decke fest um sich, damit sie nicht im Wind flatterte.
Der Barbar bearbeitete mit einem Messer ein langes Stück Holz. Vermutlich schnitzte er einen Pfeil – ein Höhlenmensch, der seine Waffen selbst anfertigte. Dem eleganten Vogelkopf nach zu urteilen, handelte es sich bei der Tätowierung auf seinem Rücken um einen Falken. Die Augen waren von dunklerem Gefieder umgeben. In den Welten benutzten die Leute variable Körperverzierungen – sie wählten ein neues Muster, wann immer sie wollten. Aria konnte sich nicht vorstellen, bis an ihr Lebensende ein und dasselbe Bild auf ihrer Haut zu tragen.
Der Außenseiter drehte sich um und starrte sie feindselig an. Aria erwiderte seinen Blick und verbarg dabei einen Anflug von Angst. Woher hatte er gewusst, dass sie hinter ihm stand? Er ließ sein Messer in eine lederne Scheide am Gürtel gleiten.
Vorsichtig trat sie näher, darauf bedacht, nicht zu humpeln und einen Sicherheitsabstand zwischen ihnen beiden einzuhalten. Als sie sich gedankenverloren eine Haarsträhne hinters Ohr schob, fiel ihr auf, dass er mit derselben routinierten Selbstverständlichkeit sein Messer gehandhabt
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