Gebannt - Unter Fremdem Himmel
dass er etwas erwiderte. Als er nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Findest du nicht, wir sollten einander mit Namen kennen, wenn wir Verbündete sein wollen?« Ihre spöttisch hochgezogene Augenbraue verriet ihm, dass sie sich über seine Verwendung dieses Wortes am Abend zuvor lustig machte.
»Wir mögen zwar Verbündete sein, Maulwurf, aber wir sind keine Freunde.« Geschickt fädelte er die Lederschnur durch die Löcher und schnürte ihr die Lederlappen dann um die Knöchel. »Probier sie mal aus.«
Die Siedlerin stand auf und ging ein paar Schritte, wobei sie ihre Hosenbeine hochzog, damit sie ihre Füße sehen konnte. »Sie passen«, stellte sie überrascht fest.
Perry fegte die restlichen Lederschnipsel in seinen Beutel. Die Einbände gaben perfekte Sohlen ab, genau wie er es gedacht hatte. Strapazierfähig, aber biegsam. Die beste Verwendung, die er je für ein Buch gehabt hatte. Sie würden ein paar Tage halten. Dann würde er sich etwas Besseres einfallen lassen müssen. Falls sie bis dahin überhaupt noch lebte. Falls nicht, würde er dieses Augendings allein zu Marron bringen – das hatte er bereits beschlossen. Er würde eine Möglichkeit finden, ein Signal damit zu senden … an jeden Siedler, der es auffing. Und dann würde er sich und das Ding im Austausch für seinen Neffen anbieten.
Sie hob einen Fuß und schaute sich die Sohle an. »Wie passend. Hast du das absichtlich ausgesucht, Außenseiter? Ich bin mir nicht sicher, ob das ein gutes Vorzeichen für unsere Reise ist.«
Wortlos griff Perry nach seinem Beutel und hob dann Bogen und Köcher auf. Er hatte keine Ahnung, welches Buch er ausgesucht hatte. Er konnte gar nicht lesen, hatte es nie gelernt, ganz gleich, wie oft Mila und Talon versucht hatten, es ihm beizubringen. Er verließ die Höhle, bevor sie es ihm ansehen und ihn einen dummen Barbaren nennen konnte.
Den Morgen verbrachten sie damit, Hügel zu überqueren, die Perry bereits sein ganzes Leben lang kannte. Sie näherten sich der Ostgrenze seines Stammesgebiets, bergiges Land, das sich aus dem Tal der Tiden erhob. Die gesamte Landschaft war mit Erinnerungen verbunden – wohin er auch schaute: Die Anhöhe, auf der Roar und er ihre ersten Bögen gefertigt hatten. Die Eiche mit dem zersplitterten Stamm, den Talon schon hundertmal hinaufgeklettert war. Die Böschung des ausgetrockneten Wasserlaufs bei jenem ersten Mal mit Brooke.
Einst hatte sein Vater dieses Land durchstreift. Und vor noch längerer Zeit auch seine Mutter. Es war seltsam, einen Ort bereits zu vermissen, noch bevor man ihn verlassen hatte. Und die Erkenntnis, dass es keinen Dachboden mehr gab, auf den er wieder zurückkehren konnte, wenn er nicht länger in der Wildnis umherstreifen mochte, bereitete ihm ein mulmiges Gefühl. Hinzu kam, dass er mit einer Siedlerin unterwegs war – was den Tag ebenfalls in einem seltsamen Licht erscheinen ließ. Ihre Gegenwart bewirkte, dass er sich unruhig und gereizt fühlte. Zwar war ihm klar, dass sie nicht der Maulwurf war, der Talon entführt hatte, aber sie gehörte trotzdem zu ihnen.
Während der ersten Stunden ließ jedes kleine Geräusch sie hochfahren. Sie ging zu langsam und verursachte mehr Lärm, als er es für jemanden von ihrer Größe erwartet hätte. Aber am schlimmsten war die Tatsache, dass sie im Lauf des Vormittags eine dicke schwarze Stimmung auszustrahlen begann, die ihm verriet, dass Kummer und Leid ihm auf den Fersen waren. Dieses Mädchen, mit dem er auf seltsame Weise zu einer Vereinbarung gekommen war, hatte einen Verlust erlitten – einen Verlust, der sie zutiefst getroffen hatte. Perry bemühte sich nach Kräften, sie möglichst in seinem Windschatten zu halten, damit er nur reine Luft einatmete.
»Wohin gehen wir, Barbar?«, erkundigte sie sich gegen Mittag. Sie humpelte gut zehn Schritte hinter ihm.
Die Tatsache, dass er vorausging, um ihrem Geruch zu entkommen, hatte noch einen weiteren Vorteil: Er musste nicht ständig das Augendings auf ihrem Gesicht sehen.
»Da ich deinen richtigen Namen nicht kenne, werde ich dich am besten nur noch ›Barbar‹ nennen«, fügte sie hinzu.
»Darauf werde ich aber nicht reagieren.«
»Okay. Jäger. Wohin gehen wir?«
Perry deutete mit dem Kinn in eine Richtung. »Dorthin.«
»Das hilft ja echt weiter.«
Genervt warf Perry ihr über die Schulter einen Blick zu. »Wir werden einen Freund besuchen. Er heißt Marron. Und er lebt dort .« Er zeigte auf den Mount Arrow. »Sonst noch was?«
»Ja«,
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