Gebannt - Unter Fremdem Himmel
erwiderte sie frustriert. »Wie fühlt sich Schnee an?«
Die Frage hätte ihn fast dazu gebracht, abrupt stehen zu bleiben. Wie konnte jemand von Schnee gehört haben, ohne gleichzeitig zu wissen, dass er rein und still und weißer als Knochen war? Ohne zu wissen, dass seine Kälte einem die Haut zusammenzog? »Er fühlt sich kalt an.«
»Was ist mit Rosen? Duften sie wirklich so wunderschön?«
»Siehst du hier vielleicht irgendwo Rosen?« Er hütete sich, ihr die Wahrheit zu sagen. Soweit er es beurteilen konnte, hatte sie in ihren Geschichten noch nie von Witterern gehört. Und genau so sollte es auch bleiben. Er vertraute ihr nicht und wusste, dass sie nicht vorhatte, ihm zu helfen. Aber was für ein falsches Spiel sie auch immer spielen mochte – er würde dahinterkommen.
»Lichten sich die Wolken jemals?«, fragte sie nun.
»Vollständig? Nein. Niemals.«
»Was ist mit dem Äther? Verschwindet er jemals?«
»Niemals, Maulwurf. Der Äther geht niemals weg.«
Sie schaute hoch. »Eine Welt, voll mit Niemals, unter einem Niemalshimmel.«
Also eine Welt, in die sie hervorragend passte, dachte er – ein Mädchen, das niemals die Klappe hielt.
Ihre Fragerei setzte sich den ganzen Tag über fort. Sie wollte wissen, ob Libellen beim Fliegen ein Geräusch verursachten und ob Regenbogen nur ein Märchen waren. Als er keine Antworten mehr gab, ging sie dazu über, mit sich selbst zu sprechen, so als wäre das normal. Sie redete über die warmen Farben der Hügel, mit denen sich diese vom blauen Schimmer des Äthers abhoben. Und als der Wind stärker wurde, meinte sie, das Geräusch erinnere sie an Turbinen. Sie starrte Steine an und fragte sich, aus welchen Mineralien sie bestanden, und steckte sogar einige Exemplare ein. Nur ein Mal, als die Sonne auftauchte, verfiel sie in tiefes Schweigen – und das war der einzige Augenblick, in dem er gern gewusst hätte, was sie gerade dachte.
Perry konnte sich keinen Reim darauf machen, wie jemand trauern und zugleich so viel reden konnte. Er ignorierte sie, so gut er konnte. Die ganze Zeit über behielt er den Äther im Auge und stellte erleichtert fest, dass er sich in hellblauen Bändern am Himmel fortbewegte. Da sie sich der Grenze des Lands der Tiden näherten, achtete er sehr genau auf die Gerüche, die der Wind mit sich trug. Ihm war klar, dass früher oder später irgendeine Form von Gefahr auf sie wartete – wer sich außerhalb seines eigenen Stammesgebiets bewegte, musste darauf gefasst sein. Das Überleben im Grenzland war schon schwer genug, wenn er allein unterwegs war, und Perry fragte sich, wie er das mit einem Maulwurf im Schlepptau schaffen sollte.
Am späten Nachmittag stieß er auf ein geschütztes Tal, wo sie ihr Lager aufschlagen konnten. Bis er das Feuer entfacht hatte, war die Dunkelheit hereingebrochen. Die Siedlerin saß auf einem umgestürzten Baumstamm und untersuchte ihre Fußsohlen. Was sie an diesem Morgen noch an gesunder Haut besessen hatte, war inzwischen mit Blasen bedeckt.
Perry holte die Heilsalbe, die er aus der Höhle mitgenommen hatte, und brachte sie ihr. Sie schraubte das kleine Gefäß auf und starrte hinein, bis ihr schwarzes Haar nach vorn fiel. Perry runzelte die Stirn. Was tat sie da? War ihre Augenklappe eine Art Vergrößerungsglas?
»Nicht essen, Siedlerin. Schmier das auf deine Füße. Hier.« Er schob ihr eine Handvoll Trockenfrüchte zu, dazu ein paar Distelwurzeln, die er unterwegs ausgegraben hatte. Sie schmeckten zwar wie rohe Kartoffeln, aber wenigstens würden sie nicht verhungern. »Das hier kannst du essen.«
Sie behielt das Obst, reichte ihm die Wurzeln jedoch zurück. Perry setzte sich wieder ans Feuer, zu verblüfft, um beleidigt zu sein. Niemand gab Nahrungsmittel einfach so zurück.
»Das Feuer wird nicht auf diese Bäume übergreifen«, erklärte er, als sie sich nicht näher herantraute. Sie inspizierte jedes Stück Obst einzeln, bevor sie es aß. »Die Flammen werden nicht so hoch schlagen wie in jener Nacht.«
»Ich mag es einfach nicht«, erwiderte sie.
»Wenn die Kälte kommt, wirst du deine Meinung ändern.«
Perry aß sein kärgliches Abendessen. Er wünschte, er hätte mehr Zeit zum Jagen gehabt. Doch selbst dann hätte er vermutlich nichts erlegt: Ihr ständiges Geplapper verscheuchte das Wild – und ihn fast ebenfalls. Morgen würde er Nahrung finden müssen. Sie hatten schon jetzt so gut wie alles verbraucht, was er aus der Höhle mitgenommen hatte.
»Der entführte
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