Gebannt - Unter Fremdem Himmel
Wüste war, und als dann …«
Aufgrund der Art und Weise, wie sie ihn anschaute, wusste Perry, dass er ein Teil von dem war, was sie nun sagen würde.
»So habe ich noch nie empfunden. Eine solche Angst gibt es bei uns nicht. Aber wenn schon das so anders ist, dann muss es auch noch mehr Unterschiede geben, oder? Mehr Dinge als nur Angst und Steine, die in der Realität anders sind, richtig?«
Perry nickte geistesabwesend. Er stellte sich eine Welt ohne Angst vor. War so etwas möglich? Und wenn es keine Angst gab, wie konnte es dann Geborgenheit geben? Oder Mut?
Die Siedlerin fasste sein Nicken als Ermutigung zum Weitererzählen auf, wogegen er nichts einzuwenden hatte. Sie besaß eine schöne Stimme. Das war ihm erst klar geworden, als er sie hatte singen hören. Ihm wäre es zwar lieber gewesen, wenn sie mehr singen und weniger reden würde, aber er würde sie nicht darum bitten.
»Es ist alles nur Energie, verstehst du – alles. Das Eye sendet Impulse, die direkt ins Gehirn fließen und es zum Narren halten. Sie sagen ihm: ›Du siehst jetzt dies und berührst jetzt das.‹ Aber vermutlich sind ein paar Sachen noch nicht perfektioniert worden. Sie sind wahrscheinlich nahe an der Realität, aber es ist doch nicht dasselbe. Na, wie auch immer: Danach hast du ja gar nicht gefragt. Ich trage mein Smarteye, weil ich das Gefühl habe, ohne es nicht ich selbst zu sein.«
Perry kratzte sich an der Wange und zuckte prompt zusammen, da er die Prellung dort vergessen hatte. »Mit unseren Tätowierungen ist es das Gleiche: Ohne sie wäre ich auch nicht ich selbst.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, bereute er sie bereits. Die ersten Sonnenstrahlen drangen über die Hügelkette und durchschnitten den Nebel. Er sollte nicht hier herumsitzen und mit einem Siedlermädchen schwatzen, während Talon irgendwo allein und fern von zu Hause im Sterben lag.
»Haben deine Tätowierungen etwas mit deinem Namen zu tun?«
»Ja«, erwiderte er und stopfte seine Decke in den Beutel.
»Heißt du Falke? Oder Habicht?«
»Weder noch.« Er stand auf und schnallte seinen Gürtel um. Dann griff er nach seinem Bogen und dem Köcher. »Ich werde das Augendings jetzt an mich nehmen.«
Sie runzelte die Augenbrauen, und eine Falte bildete sich auf ihrer blassen Stirn. »Nein.«
»Maulwurf, wenn man dich mit diesem Gerät sieht, besteht nicht die geringste Chance, dich als eine von uns auszugeben.«
»Aber ich habe es gestern doch auch getragen.«
»Gestern war gestern. Von heute an wird es anders sein.«
»Dann nimm du zuerst deine Tätowierungen ab, Barbar.«
Perry erstarrte und biss die Zähne zusammen. Es war komisch: Immer wenn sie ihn Barbar nannte, hätte er sich am liebsten auch wie einer verhalten. »Wir sind nicht mehr in deiner Welt, Siedlerin. Hier draußen sterben Menschen, und das ist kein Pseudosterben, sondern sehr, sehr real.«
Sie reckte herausfordernd das Kinn. »Dann nimm du es mir doch ab. Du hast ja gesehen, wie das geht.«
Plötzlich erinnerte Perry sich wieder daran, wie Soren ihr das Gerät vom Gesicht gerissen hatte. So etwas hatte er nicht vor. Er griff nach dem Messer an seiner Hüfte. »Wenn es sein muss …«
»Warte! Ich mach’s lieber selbst.« Sie wandte sich von ihm ab. Als sie ihn wenige Augenblicke später wieder anschaute, hielt sie das Gerät in der Hand. Ihr Gesicht war angespannt vor Zorn, während sie es in ihre Tasche gleiten ließ.
Perry machte einen Schritt auf sie zu und wirbelte das Messer zwischen den Fingern, wie es jeder kleine Junge konnte. Aber der Trick funktionierte – er lenkte ihren Blick auf die Waffe. »Ich sagte, ich nehme es an mich.«
»Stopp! Bleib mir ja vom Leib. Hier.« Wütend warf sie es ihm zu.
Perry fing das Smarteye auf und schob es in seinen Beutel. Dann entfernte er sich von ihr und steckte das Messer wieder weg. Beinahe hätte er es dabei fallen lassen.
Aria | Kapitel Fünfzehn
Am zweiten Tag hatte Aria Mühe, mit dem Außenseiter Schritt zu halten. Mit jeder Stunde schmerzten ihre Füße mehr. Von heute an wird es anders sein , hatte er gesagt. Aber das stimmte nicht: Die Stunden verstrichen exakt so wie am Vortag. Der Fußmarsch nahm kein Ende. Die Schmerzen nahmen kein Ende. Nur das Kopfweh kam und ging.
Sie hatte es aufgegeben, mit dem Außenseiter ins Gespräch zu kommen. Beide trotteten schweigend vor sich hin, nur begleitet vom Knirschen, das ihre Bucheinbände auf dem Boden erzeugten. Sie hätte beinahe laut aufgelacht, als sie
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