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Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Titel: Gebannt - Unter Fremdem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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Kehle gesetzt, und sie hatte gesehen, wie Männer abgeschlachtet wurden.
    Aber das hier war noch schlimmer.
    Aria erkannte sich nicht wieder. Ihr war zumute, als hätte sie in einer der Welten einen Pseudokörper angelegt und könnte ihn nicht mehr verlassen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie blutete. Wie ein Tier. Dabei menstruierten Siedlerinnen nicht: Die Fortpflanzung spielte sich mithilfe von Gentechnik ab, auf die eine spezielle Behandlung mit Hormonen und Implantation folgte. Fruchtbarkeit wurde ausschließlich dort zugelassen, wo sie benötigt wurde. Was für eine furchtbare Vorstellung, dass sie jetzt vollkommen wahllos empfangen konnte.
    Vielleicht hatte die Luft hier draußen sie verändert. Vielleicht funktionierte sie nicht mehr richtig. Hatte eine Fehlfunktion. Wie sollte sie das ihrer Mutter erklären? Was wäre, wenn es sich nicht reparieren ließe und wieder passierte? Womöglich jeden Monat?
    Auf den Tod war sie vorbereitet gewesen. In der Außenwelt musste man damit rechnen – eine logische Folge jedes Kontakts mit der Todeszone. Aber ganz gleich, wie sie es auch betrachtete: Zu menstruieren war absolut barbarisch. Sie legte sich auf die schmutzige Matratze und fühlte sich ganz genauso: schmutzig. Erschöpft schloss sie die Augen und hoffte, dadurch die grauenhafte Außenwelt auszusperren. Sie stellte sich vor, auf dem weißen Sand ihrer Lieblingsstrand-Welt zu liegen und dem sanften Plätschern der Wellen zu lauschen. Und allmählich entspannte sie sich.
    Aria versuchte erneut, ihr Smarteye neu zu starten.
    Es funktionierte einwandfrei.
    Alle Icons waren wieder genau dort, wo sie sein sollten. Das Icon mit dem Bild von Aria, die sich selbst erwürgte, schob sich in die Mitte des Bildschirms, und die Erinnerungsfunktion blinkte auf.
    Vorsingsonntag. 11.00 Uhr.
    Sie wählte das Icon an und bilokalisierte sich sofort. Vor ihr blähte sich der schwere, purpurrote Vorhang des Opernhauses auf. Aria streckte die Hand aus, um den dicken Samt zu berühren. Nie zuvor hatte sie gesehen, dass er sich derart bewegte: wie heranrollende Wellen. Sie trat einen Schritt vor und tastete nach der Mittelnaht. Dann spürte sie, wie der Vorhang sich bewegte und sich um sie wickelte. Sie drehte sich im Kreis, fand aber keinen Weg hinaus. Von Panik ergriffen, streckte sie die Arme aus, doch unter ihrer Berührung verwandelte sich der weiche Stoff in ein grobes Gewebe, so rau wie Kieselsteine.
    Lumina!, schrie Aria, doch kein Laut kam über ihre Lippen. Mom! , versuchte sie es erneut. Wo war ihre Stimme? Sie klammerte sich an den Vorhang und zog mit aller Kraft daran. Er löste sich mit einem Ruck und begann um sie herumzuwirbeln, drehte sich in einem Strudel um sie, fegte ihr die Haare ins Gesicht und kam immer näher. Aber Aria wollte nicht zulassen, dass er sie verschlang. Sie zählte bis drei und stürzte sich dann in die wirbelnde Masse.
    Sofort stand sie mitten auf der Bühne. Lumina saß wie immer auf ihrem Platz in der ersten Reihe. Wieso wirkte sie so weit weg, als wäre sie eine Meile entfernt? Was für eine Welt war das hier?
    Mom? Aria konnte ihre Stimme noch immer nicht hören. Mom!
    »Ich wusste, dass du kommen würdest«, sagte Lumina, doch ihr Lächeln verblasste rasch. »Aria, ist das wieder einer deiner Scherze?«
    Ein Scherz? Aria schaute an sich herab: Ihr Körper steckte in Tarnkleidung. Hier, im eleganten Opernhaus. Nein, Mom!
    Sie wollte Lumina berichten, was passiert war. Wollte ihr von Soren und Konsul Hess erzählen und davon, dass man sie zum Sterben in die Außenwelt ausgesetzt hatte. Aber sie brachte die Worte einfach nicht heraus. Vor lauter Frustration schossen ihr die Tränen in die Augen. Sie senkte den Blick, weil sie nicht wollte, dass ihre Mutter sie weinen sah – und dabei bemerkte sie, dass sie ein Heft in den Händen hielt. Ein Opernlibretto. Sie wusste weder wann, noch woher sie es bekommen hatte. Zarte, mit Tinte gezeichnete Blüten wanden sich über das verblichene Pergament und bildeten geschwungene Buchstaben.
    ARIA.
    Furcht erfasste sie. War das hier ihre Geschichte? Sie schlug das Heft auf und erkannte das Bild darin sofort: eine spiralförmig gedrehte Doppelhelix. DNS.
    »Das ist eine Gabe, Aria.« Lumina lächelte. »Willst du denn nicht singen, Singvogel? Und dieses Mal bitte kein Kannibalenkandis. Obwohl es durchaus amüsant war.«
    Aria wollte schreien. Sie musste ihrer Mutter sagen, dass es ihr leidtat und dass sie gleichzeitig wütend auf sie war. Wo war sie?

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