Gebannt - Unter Fremdem Himmel
dieses Berggrats. Halte dich drei Stunden in dieser Richtung. Wollen doch mal sehen, wie du dich allein hier draußen schlägst, Maulwurf.« Dann wirbelte er herum und lief los, in den Wald hinein. Mit jedem Schritt hämmerte er seine Wut in den Erdboden, verringerte sein Tempo jedoch nach wenigen Meilen. Er hätte sie am liebsten ihrem Schicksal überlassen, konnte es aber nicht. Sie hatte das Smarteye. Und sie war ein Maulwurf, der bisher nur in künstlichen Welten gelebt hatte. Was wusste sie schon vom Überleben hier draußen?
Er kehrte um und entdeckte sie wenig später, hielt sich jedoch weit genug entfernt, dass sie ihn nicht sah. Sie hielt Talons Messer in der Hand. Perry verfluchte sich. Wie hatte er das vergessen können? Er beobachtete, wie sie sich überraschend leise und vorsichtig ihren Weg durch den Wald bahnte. Nach einer Weile erkannte er, dass es ihr sogar gelang, einen halbwegs geraden Kurs einzuhalten. Eigentlich hätte er gern gesehen, wie sie in Panik ausbrach. Aber den Gefallen tat sie ihm nicht, und das ärgerte ihn noch mehr. Da es bis zu seinem Ziel nicht mehr weit war, eilte er voraus und rannte den Rest der Strecke.
Als er die Siedlung der Schwarzflossen erreicht hatte, war es noch immer dunkel. Perry hielt bestürzt die Luft an, während er die schockierende Szene um sich herum aufnahm. Der Ort hatte nichts mehr von jenem geschäftigen Dorf, das er ein Jahr zuvor besucht hatte – es war vollkommen zerstört. Aufgegeben von seinen ursprünglichen Bewohnern, deren Gerüche inzwischen so verblasst waren, dass er sie kaum noch wahrnehmen konnte. Wie ein zernagter Kadaver am Fuß des Mount Arrow.
Ätherstürme und Feuer hatten sämtliche Häuser in Schutt und Asche gelegt, bis auf eines – doch eines reichte ihm völlig. Eine Tür gab es nicht mehr, und das Dach war zur Hälfte zerstört. Er stellte seinen Lederbeutel auf die Türschwelle, damit sie ihn finden konnte. Dann ging er hinein und sank auf eine ramponierte Strohmatratze. Über ihm ragten geborstene Dachbalken in den Himmel wie gebrochene Rippen.
Perry legte sich den Arm über die Augen.
Hatte er sie zu früh verlassen?
Hatte sie sich verirrt?
Wo war sie?
Endlich hörte er leise Schritte. Als er zur Tür schaute, sah er gerade noch, wie sie den Kopf auf seinen Beutel bettete. Dann schloss er die Augen und schlief ein.
Am nächsten Morgen trat er leise aus dem Haus. Ihre kleine, in Tarnkleidung gehüllte Gestalt lag zusammengerollt an der Wand, erleuchtet vom diffusen Licht eines bewölkten Himmels. Ihre schwarzen Haare waren ihr ins Gesicht gefallen, doch er konnte sehen, dass sie das Gerät abgenommen hatte. Sie hielt es in der Hand, als wäre es einer der Steine, die sie sammelte. Dann fiel sein Blick auf ihre nackten Füße. Dreckig. Blutig schimmernd. Dort, wo die Haut aufgeschürft oder ganz zerschunden war, konnte er rohes Fleisch erkennen. Die Bucheinbände mussten ausgefranst und dann zerschlissen sein, nachdem er sie zurückgelassen hatte.
Was hatte er getan?
Sie rührte sich und spähte unter ihren Wimpern hervor, ehe sie sich aufsetzte und gegen die Hauswand lehnte. Perry trat von einem Bein auf das andere, unsicher, was er sagen sollte. Lange brauchte er nicht darüber zu grübeln, denn dann nahm er ihre Stimmung wahr: panische Angst.
»Aria, was ist los?«
Langsam und geschlagen rappelte sie sich auf. »Ich werde sterben: Ich verblute.«
Perrys Blick wanderte an ihrem Körper hinab.
»Meine Füße sind nicht das Problem.«
»Hast du von diesen Beeren gegessen?«
»Nein.« Sie streckte ihm die Hand mit dem Gerät entgegen. »Hier, nimm. Vielleicht kann es dir ja doch noch helfen, den Jungen zu finden, nach dem du suchst.«
Perry schloss die Augen und atmete ein. Ihr Geruch hatte sich verändert. Der ranzige Siedlermoschus war fast verschwunden. Ihre Haut verströmte nun einen neuen Geruch, schwach, aber unverkennbar. Seit ihrer ersten Begegnung roch sie zum ersten Mal wie etwas, das er kannte – weiblich und süß.
Er roch Veilchen.
Plötzlich ging ihm auf, was los war, und er fluchte stumm in sich hinein. »Du liegst nicht im Sterben … Weißt du es denn wirklich nicht?«
»Ich weiß überhaupt nichts mehr.«
Perry schaute zu Boden und holte dann erneut Luft. Es bestand nicht der geringste Zweifel. »Aria … das ist dein erster Monatsfluss.«
Aria | Kapitel Siebzehn
Seit ihrer Verbannung aus Reverie hatte sie einen Äthersturm überlebt, ein Kannibale hatte ihr ein Messer an die
Weitere Kostenlose Bücher