Gebannt - Unter Fremdem Himmel
nicht auf. Sie konnte nicht aufhören.
»Falls du doch mitzählst, brauchst du Soren nicht auf die Liste zu setzen. Ihn hast du nicht getötet, obwohl ich weiß, dass du es versucht hast. Du hast ihm lediglich den Kiefer zertrümmert. Zertrümmert! Aber vielleicht kannst du dir ja Bane, Echo und Paisley anrechnen lassen.«
»Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, was passiert wäre, wenn ich an jenem Abend nicht dort gewesen wäre? Oder gestern Abend?«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Das hatte sie durchaus. Und da war sie wieder: die Angst, die sie unterdrückt hatte. Vor diesen Männern, die so freundlich gewirkt hatten, aber sich von Menschenfleisch ernährten. Die Angst während der schrecklichen Stunden, die sie damit verbracht hatte, allein durch den Wald zu laufen, ständig bemüht, einen Blick auf den Mount Arrow werfen zu können, damit sie in der Dunkelheit nicht in die falsche Richtung lief. Im Moment schlug sie zwar rücksichtslos um sich, aber sie kannte die wahre Quelle ihres Zorns: Sie hatte kein Vertrauen mehr in ihr eigenes Urteilsvermögen. Was wusste sie schon von der Außenwelt? Sogar Beeren konnten sie umbringen.
»Was soll’s?«, schrie sie und rappelte sich auf. »Was soll es denn, dass du mir das Leben gerettet hast? Du bist einfach so gegangen ! Glaubst du wirklich, es macht dich zu einem guten Menschen, wenn du einen rettest und drei andere dafür umbringst? Wenn du mir diese Sachen gibst? Und so was sagst wie, es sei eine Ehre, was gerade mit mir passiert? Es ist keine Ehre! Das hier sollte nicht geschehen! Ich bin doch kein Tier! Und ich habe nicht vergessen, was du mit diesen Männern gemacht hast. Ich werde es nie vergessen.«
Er lachte bitter. »Falls es dich tröstet, kann ich dir versichern: Ich werde es auch nicht vergessen.«
»Du hast ein Gewissen? Das ist ja rührend. Mein Fehler. Da habe ich dich wohl falsch eingeschätzt.«
Im Nu stand er vor ihr. Aria schaute direkt in wütende, grüne Augen. »Du weißt gar nichts von mir.«
Sie war sich bewusst, dass seine Hand auf dem Messer an seiner Hüfte ruhte. Ihr Herz klopfte so wild, dass sie es in den Ohren dröhnen hörte. »Wenn du mich töten wolltest, hättest du es längst getan. Aber du tust Frauen nicht weh«, stieß sie hervor.
»Da irrst du dich, Maulwurf. Ich habe schon eine Frau getötet. Mach nur weiter so. Du könntest die zweite sein.«
Ein unterdrücktes Schluchzen drang ihr über die Lippen. Er sagte die Wahrheit.
Er wandte ihr den Rücken zu und hielt in der Tür inne. »Die Kräher … Der Stamm dieses Krähenmannes wird sich rächen wollen«, sagte er schließlich. »Wenn du mitkommen willst, dann brechen wir jetzt auf. Noch während der Dunkelheit.«
Als er gegangen war, blieb Aria noch einen Moment schwer atmend stehen und versuchte, das Geschehene zu verdauen: das, was sie gesagt hatte, und das, was er zugegeben hatte. Aber sie wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie Kannibalen sich rächten oder wie der Außenseiter einer Frau das Leben genommen hatte.
Aria schaute auf die blaue Decke hinab. Sie starrte darauf, während sich ihr Atem beruhigte und das Verlangen, zu schreien und zu weinen, langsam abebbte.
Stiefel. Zumindest hatte sie jetzt Stiefel.
Peregrine | Kapitel Achtzehn
Obwohl sie bei Nacht marschierten, kamen sie gut voran. Das mussten sie auch: Drei getötete Krähenmänner bedeuteten, dass ihre Stammesgenossen sich auf den Kriegspfad begeben und Rache fordern würden. Mit Sicherheit hatten auch die Kräher einen Witterer in ihren Reihen, der sich an Perrys Geruch hängen würde. Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis sie sich in ihren schwarzen Umhängen und Masken an ihre Fersen hefteten.
Perry hatte das größtmögliche Vergehen gegenüber den Krähern begangen, die glaubten, sich die Geister der Toten einzuverleiben, deren Fleisch sie aßen. Da er die drei den aasfressenden Tieren überlassen hatte, würde man ihn nicht nur als Mörder dieser Männer, sondern auch als Mörder all der Seelen betrachten, die sie verspeist hatten. In ihrem Streben nach Vergeltung würden die Kräher nicht eher ruhen, bis sie ihn aufgespürt hatten. Er hätte die Leichen verbrennen oder begraben sollen – beides hätte ihm Zeit verschafft. Nachdenklich warf er einen Blick auf Aria, die zehn Schritte hinter ihm ging. Er hätte so manches anders machen sollen.
Einen flüchtigen Moment lang begegnete sie seinem Blick, dann schaute sie weg.
Bestie – so hatte
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