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Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Gebannt - Unter Fremdem Himmel

Titel: Gebannt - Unter Fremdem Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Rossi
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entkommen.
    »Warum hast du das getan?«, fragte sie. »Wieso hast du diese ganzen Sachen für mich aufgetrieben?« Mitleid. Das musste einfach der Grund dafür sein, dass er all das zusammengetragen und ihr seinen Namen genannt hatte.
    »Du brauchst sie.« Er rieb sich mit der Hand über den Hinterkopf. Dann setzte er sich, stützte die langen Arme auf die Knie und verschränkte die Hände. »Heute Morgen hast du geglaubt, du würdest sterben. Trotzdem hast du mir dieses Augendings gebracht. Du wolltest es mir aus freien Stücken geben.«
    Aria nahm einen Stein vom Boden. Sie hatte sich angewöhnt, die Steine aufzureihen. Sie nach Farbe, Größe, Form zu sortieren. Um der Zufälligkeit, die sie anfangs so bewundert hatte, eine Ordnung zu verleihen. Doch nun betrachtete sie lediglich den aus verschiedenen Gesteinssorten zusammengesetzten Brocken in ihrer Hand und fragte sich, warum sie jemals ein so hässliches, zusammengewürfeltes Teil hatte einstecken können.
    Sie konnte nicht sagen, ob sie das Smarteye wirklich aus Großmut hergebracht hatte. Vielleicht. Vielleicht hatte sie es aber auch getan, weil sie wusste, dass er in Bezug auf die Kannibalen recht gehabt hatte. Außerdem war sie ihm etwas schuldig, weil er ihr das Leben gerettet hatte. Drei Mal.
    »Danke.« Besonders von Herzen kommend klang das nicht, und sie wünschte, sie hätte mehr Dankbarkeit in ihre Stimme gelegt. Ihr war klar, dass sie diese Sachen brauchte, dass sie auch seine Hilfe brauchte. Aber sie wollte nichts brauchen müssen.
    Mit einem Nicken nahm er ihren Dank an.
    Sie verfielen in Schweigen. Helles Ätherlicht sickerte langsam in das baufällige Haus und vertrieb die Schatten. So müde Aria auch sein mochte – dank der kalten Luft auf ihrem Gesicht erwachten ihre Sinne zu neuem Leben, fühlte sie das Gewicht des Steines in ihrer Hand, roch sie den staubigen Geruch, den der Außenseiter mit hereingebracht hatte. Sie hörte ihren Atem und spürte die stille Kraft von Perrys aufmerksamem Blick. Auf einmal fühlte sie sich eins mit der Umgebung. Hier, mit ihm. Mit sich selbst.
    Nie zuvor hatte sie etwas Derartiges empfunden.
    »Mein Volk feiert den ersten Monatsfluss«, sagte er nach ­einer Weile mit sanfter, tiefer Stimme. »Die Frauen im Stamm bereiten ein Festmahl vor. Sie überreichen dem Mädchen … der Frau Geschenke. Sie bleiben während der Nacht bei ihr, alle Frauen in einem Haus, und … Was danach passiert, weiß ich nicht. Meine Schwester hat mir erzählt, dass sie sich Geschichten erzählen, aber welche, weiß ich nicht. Ich glaube, sie erklären die Bedeutung der ganzen Sache … der Veränderung, die auch du jetzt durchmachst.«
    Arias Wangen brannten. Sie wollte sich nicht verändern. Sie wollte vollkommen unverändert nach Hause zurückkehren. »Welche Bedeutung soll es da schon geben? Für mich ist das schrecklich, egal, wie man es betrachtet.«
    »Du kannst jetzt Kinder gebären.«
    »Das ist doch absolut primitiv! Dort, wo ich herkomme, sind Kinder etwas Besonderes ! Sie werden sorgfältig erschaffen, jedes einzelne von ihnen. Das sind keine willkürlichen Befruchtungs­experimente. Auf jeden Menschen werden so viele Gedanken verwendet. Du hast ja keine Ahnung.« Zu spät wurde ihr bewusst, dass er gerade versuchte, einen kleinen Jungen zu retten. Er hatte Schuhe für sie gefertigt, drei Menschen ermordet, ihr das Leben gerettet – das alles hatte der Außenseiter für den Jungen getan. Offenbar wurden Kinder hier ebenfalls sehr geschätzt. Doch nun konnte sie ihre Worte nicht mehr zurücknehmen.
    Allerdings wusste sie nicht, warum ihr das überhaupt etwas ausmachte. Schließlich war er ein Mörder. Mit Narben übersät. Von Kopf bis Fuß mit Spuren von Gewalt gezeichnet. Welche Rolle spielte es da schon, dass sie sich gegenüber einem Mörder unsensibel verhalten hatte?
    »Du hast zuvor schon mal getötet, stimmt’s?« Sie kannte die Antwort bereits. Dennoch wollte sie von ihm hören, dass er die Frage verneinte. Dass er ihr etwas sagte, das ihr das mulmige Gefühl nehmen würde, welches sie beim Gedanken an diese drei ermordeten Männer jedes Mal wieder überkam.
    Doch er schwieg. Nie beantwortete er auch nur eine ihrer Fragen, und das hatte sie satt. Hatte seine ruhigen, aufmerksamen Blicke satt. »Wie viele Männer hast du getötet? Zehn? Zwanzig? Zählst du überhaupt noch mit?« Aria hatte die Stimme erhoben, um einen Teil des Giftes herauszulassen. Er stand auf und trat an die Türschwelle, doch sie hörte

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