Gebannt - Unter Fremdem Himmel
sank, wurde kühl und finster, bis sie sich in eine solch durchdringende, kalte Schwärze verwandelt hatte, dass Perrys Herz zu hämmern begann. Diese Stimmung hatte etwas sehr Vertrautes an sich.
»Du hättest mich einfach zurücklassen sollen. Hast du denn nicht gesehen, was ich bin?« Die Stimme des Jungen brach, und dann hörte Perry ein leises Wimmern.
Perry schluckte den Kloß in seiner Kehle hinunter und blieb reglos und stumm auf dem Feldbett sitzen, während sich Salz unter die anderen Gerüche im Raum mischte. Vorsicht, immer mit der Ruhe, ermahnte er sich. Dieser Junge war innerlich zerrissen – eine Wunde, die sich bis in seine Seele fortsetzte. Perry wusste genau, wie sich das anfühlte. Diese Wunde würde viel Zeit brauchen, um zu verheilen.
»Kannst du … kannst du deine Finger bewegen?«
Perry schaute auf seine Hand. »Nicht richtig. Aber wenn die Schwellung nachlässt, wird es bestimmt wieder gehen.«
Cinder stöhnte gequält. »Ich hätte dich töten können.«
»Hast du aber nicht.«
»Aber ich hätte es gekonnt! Es ist einfach in mir, und dann kommt es heraus und Menschen werden verletzt und getötet, und ich bin schuld. Aber so will ich nicht sein.« Cinder vergrub das Gesicht in den Armen, während er in harsches, raues Schluchzen ausbrach. »Verschwinde. Bitte geh.«
Obwohl Perry ihn so eigentlich nicht zurücklassen wollte, wusste er eines: Der Junge schämte sich abgrundtief. Wenn er jetzt blieb, würde Cinder ihm nie wieder in die Augen sehen können. Aber genau das wollte Perry. Er musste noch einmal mit diesem Jungen reden. Mit wackligen Beinen glitt Perry vom Feldbett.
Er würde jetzt gehen. Aber er würde zurückkommen.
Aria | Kapitel Dreiundzwanzig
»Aria?«
Aria zwang sich, aufzuwachen – aus dem tiefsten Schlaf, in den sie je versunken war. Sie blinzelte, bis sie wieder klar sehen konnte.
Perry saß auf dem Bettrand. »Ich bin da. Marron … Er meinte, ich sollte dir Bescheid geben.«
Aria wusste bereits, dass er sicher angekommen war. Sie war bei Marron gewesen, als Slate ihn informiert hatte. Doch jetzt, als sie ihn vor sich sah, konnte sie vor Erleichterung einen Moment lang kaum sprechen. »Du hast so lange gebraucht«, stieß sie schließlich hervor. »Ich dachte schon, die Kräher hätten dich erwischt.«
Seine Augen funkelten belustigt. »Kein Wunder, dass du so gut geschlafen hast.«
Sie lächelte. Als Slate sie zu ihrem Zimmer geführt hatte, hatte sie sich eigentlich nur die Hände waschen und die Füße hochlegen wollen, bis man Perrys Hand behandelt hatte. Doch beim Anblick des Betts hatte sie jede Hoffnung aufgegeben, so lange wach zu bleiben. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie nun. An seinem Kinn hing verkrusteter Schlamm. Seine Lippen waren trocken und rissig, doch Aria konnte keine neuen Verletzungen entdecken. »Was macht deine Hand?«
Perry hob den Arm. Ein fester, weißer Verband zog sich von den Fingern bis zum Ellbogen. »Das Ding ist innen gepolstert und kühl. Außerdem hat man mir ein Schmerzmittel gegeben.« Er lächelte. »Deutlich besser als Luster.«
»Und was ist mit Cinder?«
Nachdenklich schaute Perry auf seinen Verband. Sein Grinsen verblasste. »Er ist in der Krankenstation.«
»Glauben die Ärzte, dass sie ihm helfen können?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihnen nichts über ihn erzählt, und Cinder lässt niemanden an sich heran. Ich werde später noch mal nach ihm sehen.« Perry seufzte und rieb sich müde die Augen. »Ich konnte ihn da draußen nicht einfach zurücklassen.«
»Ich weiß«, sagte Aria. Sie selbst hätte es auch nicht gekonnt. Andererseits konnte sie auch nicht die Gefahr leugnen, die von Cinder ausging: Er war zwar nur ein Junge, aber sie hatte gesehen, was er mit Perrys Hand angerichtet hatte.
Perry neigte den Kopf leicht zur Seite. »Ich habe Marron das Smarteye gegeben. Er wird versuchen, es zu reparieren, und sagt uns Bescheid, sobald es etwas Neues gibt.«
»Wir haben es geschafft, Verbündeter«, sagte sie.
»Das haben wir.« Perry lächelte – es war sein Löwengrinsen, das sie erst wenige Male gesehen hatte. Süß und einnehmend, mit einem Anflug von Schüchternheit. Es zeigte einen Teil von ihm, den sie bislang nicht kannte. Mit klopfendem Herzen schaute sie auf ihre Hände, und plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie beide auf demselben Bett saßen. Allein.
Er wurde ganz starr, als hätte er gerade das Gleiche erkannt, und warf einen Blick zur Tür.
Aria wollte nicht, dass er ging.
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