Gebannt - Unter Fremdem Himmel
Bildschirm flackernd an, und das Gesicht eines Mannes mit Pausbacken und blauen Augen erschien. Sein feuchtes, strohblondes Haar war sorgfältig nach hinten gekämmt.
Ein ungläubiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Eine Siedlerin?«
Im nächsten Moment öffnete sich das Tor mit einem Rumpeln, das Arias Knie zittern ließ.
Aria hinkte in einen breiten, mit Gras bewachsenen Hof. Ihre Schultern schmerzten derart, dass sie Cinder kaum noch festhalten konnte. Kopfsteingepflasterte Wege verbanden Steincottages und kleine Gärten. In der Ferne im Schutz der Mauern sah sie Pferche mit Ziegen und Schafen. Rauch stieg aus mehreren Schornsteinen zum Himmel empor. Ein paar Menschen warfen ihr einen Blick zu, eher neugierig als überrascht. Die ganze Szenerie erinnerte Aria an einen Burghof in einer Mittelalter-Welt, nur der kolossale Bau in der Mitte störte das Bild: Er ähnelte eher einem grauen Kasten als einem Schloss.
An seinen Mauern rankte sich Efeu, das die Silhouette des Betonklotzes jedoch nicht auflockern konnte. Das Bauwerk besaß nur einen einzigen Eingang, eine schwere Stahltür, die in diesem Moment sanft aufglitt. Dahinter kam der pausbäckige Mann zum Vorschein, den Aria schon auf dem Bildschirm gesehen hatte. Er war klein und korpulent, eilte aber mit federnden Schritten auf sie zu, dicht gefolgt von einem jungen Mann. Gleichzeitig begann sich das Tor hinter ihr wieder zu schließen.
»Nein! Nicht!«, rief Aria. »Da kommen noch zwei! Peregrine und Roar. Sie sagten, ich soll mich an Marron wenden.«
»Ich bin Marron.« Der Mann richtete seine blauen Augen auf das Tor. »Perry ist dort draußen?« Doch da ertönten schon »Kräher«-Rufe von der Mauer. Rasch erteilte Marron dem schlaksigen jungen Mann an seiner Seite Anweisungen, befahl einer Reihe von Männern, entlang der Mauer Posten zu beziehen, und schickte andere den Hang hinab, um Perry und Roar zu Hilfe zu eilen.
Sofort traten zwei Männer zu Aria und nahmen ihr Cinder ab. Der Kopf des Jungen fiel schlaff zurück, als sie ihn aufhoben.
»Bringt ihn zur Krankenstation«, befahl Marron. Als er sich Aria wieder zuwandte, wurden seine Züge sanfter. Er faltete die Hände unter dem molligen Kinn, und in seinen Augen leuchtete ein Lächeln auf. »Welch ein freudiger Tag! Wen haben wir denn hier?« Dann nahm er sie galant am Arm und führte sie auf den viereckigen Bau zu.
Aria protestierte nicht. Sie konnte kaum noch gehen und lehnte sich gegen seine weiche Hüfte. Der Duft von Parfüm stieg ihr in die Nase. Sandelholz. Zitrusgewächse. Saubere Gerüche. Sie hatte kein Parfüm mehr gerochen, seit sie das letzte Mal in den Welten unterwegs gewesen war.
Hastig erzählte sie Marron von den Krähenmännern, während sie eine Luftschleusenkammer durchquerten, die nicht länger ihrem ursprünglichen Zweck diente und deren Tür offen stand. Ein breiter Betonkorridor führte zu einem großen Saal.
»Ich habe Perry und Roar meine besten Leute zu Hilfe geschickt. Wir können hier auf sie warten«, erklärte Marron.
Erst jetzt erkannte Aria, dass Marron viktorianische Kleidung trug: ein schwarzer Frack über einer blauen Samtweste. Dazu ein weißes Seidentuch und sogar Gamaschen.
Wo war sie? Was für ein Ort war das? Aria schaute sich um, auf der Suche nach Hinweisen, die ihr halfen zu verstehen. Ihr Blick fiel auf dreidimensionale Flachbildschirme, wie sie vor der Einheit üblich gewesen waren. Die Monitore bedeckten zwei Wände des Saals und zeigten Bilder von grünen, üppigen Wäldern. Aus verborgenen Lautsprechern drang Vogelgezwitscher. Die anderen Wände waren mit prächtig gemusterten Stofftapeten versehen. Davor standen Vitrinen mit Sammlungen sonderbarer Gegenstände. Ein indianischer Kopfschmuck. Ein altmodisches, rotes Sporttrikot, auf dessen Rücken in Blockbuchstaben die Zahl Fünfundvierzig prangte. Eine Zeitschrift, deren Dinosaurier-Illustration auf dem Titel von einem gelben Rand eingefasst war. Wie in einem uralten Museum wurde jedes Objekt von kleinen Spots angestrahlt, sodass Arias Augen von einem farbenfrohen Blickfang zum nächsten wanderten.
In der Mitte des Saals waren mehrere einladende Sofas um einen kunstvoll geschreinerten Beistelltisch mit geschwungenen Beinen gruppiert. Schlagartig erkannte Aria, dass sie einen solchen Tisch schon einmal gesehen hatte – in einer Barock-Welt: Vor ihr stand ein Möbelstück aus der Zeit Ludwigs XIV. Verwundert warf Aria Marron einen Blick zu. Was für ein Außenseiter war
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