Gebieter des Sturms (German Edition)
fortzukommen.
Was stellte er sich denn vor? Nach New York zurückzukehren, kam nicht infrage. Sie konnte sich nicht wieder im Reich der Wyr verkriechen, nur weil die Lage ein bisschen ungemütlich geworden war. Das wäre politischer Selbstmord. Es würde sie schwach und als Herrscherin ungeeignet aussehen lassen, nicht nur vor den Dunklen Fae, sondern auch vor allen anderen Reichen.
Er hatte gesagt, alles würde in Ordnung kommen. Verdammt!
Wie sollte alles in Ordnung kommen? Für wie lange? Für ein paar Tage oder Wochen – oder für welchen Zeitraum er beschließen würde, ihr aus der Klemme zu helfen? Und dann?
Er würde sein Leben weiterführen – das wär’s dann. Und er würde sie als alleinstehende Monarchin auf dem Thron der Dunklen Fae zurücklassen. Inzwischen hatte sie an die hundert Großcousins. Einige davon waren zweifelsfrei gesetzestreue Bürger, aber sie würde darauf wetten, dass der eine oder andere mindestens ebenso ambitioniert war, wie Geril oder ihr Onkel Urien es gewesen waren.
Dummer Wyr. Nichts war in Ordnung.
Sie konnte sich nicht nach New York flüchten. Jetzt, da sie nicht mehr betrunken war und nicht mehr unter Schock stand, wusste sie, dass sie sich auch sonst nirgendwohin flüchten konnte. Am Ende des Abends hatten alle Nachrichtensender im Grunde die gleiche Story gebracht. Die Polizei der Menschen und die Behörden der Dunklen Fae leiteten gemeinsam eine riesige Großfahndung nach ihr ein.
Sie hatte ihre Auszeit gehabt, hatte Zeit gehabt, um sich abzureagieren, und jetzt musste sie zurück ins Regent, um sich mit der Delegation der Dunklen Fae zu treffen. Es gab keine realistische Alternative. Als sie die Entscheidung getroffen hatte, mit ihrer wahren Identität an die Öffentlichkeit zu gehen, hatte sie einen Weg ohne Widerkehr eingeschlagen.
Die Delegation war eine traditionelle Triade, die sich aus drei der mächtigsten Regierungsbeamten der Dunklen Fae zusammensetzte. Da war zuerst Kanzler Aubrey Riordan, der über irgendeinen entfernten Zweig zum labyrinthischen Familienstammbaum der Lorelles gehörte. Als Niniane zur Welt kam, war Aubrey schon alt gewesen, und etwa fünfzehn Jahre vor dem Massaker an ihrer Familie hatte er sich aus seinem öffentlichen Amt zurückgezogen.
Aubreys Frau Naida hatte in der Gruppe gefehlt, die Niniane bei ihrer Ankunft in Chicago angetroffen hatte. Niniane hatte gehört, dass Naida ein ganzes Stück jünger sein sollte als ihr Ehemann, und sie wollte diese Frau sehr gern kennenlernen. Sie freute sich darauf, sich mit jemandem zu unterhalten, der nicht ganz so sehr von politischen Erwägungen beschwert war.
Das zweite Mitglied der Delegation war Kommandantin Arethusa Shiron, die derzeit die militärischen Streitkräfte der Dunklen Fae anführte. Arethusa war eine kaltäugige, stille Frau, die Niniane allein durch die Kraft ihrer Anwesenheit einschüchterte. Die dritte Person war Justizminister Kellen Trevenan. Kellen war eine Rarität unter den Dunklen Fae, denn er war so alt, dass sein Haar weiß geworden war.
Nicht zuletzt waren alle drei Mitglieder der Delegation, Aubrey, Arethusa und Kellen, außerordentlich zäh und hart im Nehmen. Sie alle hatten unter der Herrschaft von Ninianes Vater Rhian gelebt. Er war ein fortschrittlicher Herrscher gewesen, der Veränderungen begrüßt und die Beziehungen der Dunklen Fae ausgebaut hatte – nicht nur zur alteingesessenen indianischen Bevölkerung, sondern auch zu der schnell wachsenden Zahl europäischer Siedler, die sich im späten achtzehnten Jahrhundert, nach der Amerikanischen Revolution, auf dem ganzen Kontinent niederließen.
Dann hatten die Mitglieder der Delegation den von Urien angestifteten Putsch gegen Ninianes Vater gewittert. Urien hatte eine konservative Fraktion der Dunklen Fae angeführt, die sich hinsichtlich des Ansturms aus Europa gegen Rhians Politik der offenen Tür engagiert hatte.
Soweit Niniane wusste, war keiner der drei Delegierten selbst am eigentlichen Putsch beteiligt gewesen. Sie hatten erlebt, wie Urien an die Macht und auf den Thron gelangt war. Sie hatten sein Rassentrennungsgesetz, das die Gesellschaft der Dunklen Fae vom Rest der Welt isoliert hatte, nicht nur miterlebt, sondern unterdessen Positionen erlangt, die ihnen beträchtliche Machtbefugnisse einräumten. Und nun wurden sie Zeugen eines weiteren Machtwechsels in der Monarchie.
Zwar wollte sie nicht glauben, dass sie etwas mit den Geschehnissen zu tun haben könnten, aber Fakt war, dass jeder von
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