Gebieterin der Finsternis
Aufmerksamkeit der Ältesten von Artemis auf ihn verlagerte. Sieben Augenpaare sahen ihn bitter enttäuscht an.
Niniane zitterte, als sie ihn ansprach. »Manannán, ich kann nicht glauben, dass du dich mit dieser Verbrecherin eingelassen hast.« Sie nickte Saraid zu. »Zerstör den Stein.«
Artemis stieß einen stummen Schrei aus und stürzte sich an den Podestrand, doch Saraid hielt sie mit einem einzigen Wort zurück.
Resigniert sank Artemis auf die Knie. Tränen strömten ihr übers Gesicht.
Mit hochrotem Kopf starrte Niniane Artemis an. »Niemals, in all den Jahrhunderten, die ich lebe, habe ich eine solch scheußliche Verletzung der keltischen Arten bezeugt. Und ich will sie auch nie wieder erleben müssen. Saraid?«
Die Älteste nickte ernst, öffnete den Mund und sagte ein Wort.
Im nächsten Moment funkelte der Mondstein so hell, dass Mac sich die Hand vor Augen hielt. Als wäre ein Schleusentor aufgegangen, strömten Tausende Funken heraus, die wie eine Sternenwolke über ihren Köpfen wirbelte.
»Nein! Oh Götter, nein!«
Artemis sprang auf und streckte sich weit nach oben aus in dem Versuch, die gestohlenen Lebenskrümel wieder einzufangen. Doch es war zu spät. Die Seelenbröckchen suchten bereits nach ihren ursprünglichen Besitzern. Mac fühlte ein Kribbeln, gefolgt von einer Welle Wohlempfindens. Die Lebensessenz, die Artemis ihm genommen hatte, war zurück. Und der Rest …
Niniane machte eine Handbewegung, und das Portal zur Menschenwelt ging auf. Die britzelnde Wolke floss hindurch. Binnen zwei Sekunden war Artemis’ gestohlene Ernte verschwunden.
Der Mondstein erlosch, und Saraid ließ ihn fallen, so dass er mit einem dumpfen Knall auf dem Boden landete.
»Nein … nein … n…« Artemis schwankte.
Ihre Knie gaben nach, und Mac, der nichts mehr aufs Sidhe-Protokoll gab, sprang hin, um sie aufzufangen.
Er war einen Sekundenbruchteil zu spät.
Kapitel 10
Ein Elfenfeuerstrahl aus Ninianes Finger fegte Mac von den Füßen, als er auf das Podest zustürmte. Das war das Letzte, was Artemis sah, bevor sie in sich zusammensackte. Zwar war sie nur noch halb bei Bewusstsein, doch um richtig ohnmächtig zu werden, war sie viel zu entsetzt.
Nach und nach wurde alles klarer. Ein grüner Lichtball hing über ihrem Kopf, dessen Strahlen sie vollständig umgaben. Zu Füßen der Sidhe-Ältesten lag der Mondstein, kalt und leer wie ein gebrochenes Versprechen.
Artemis blinzelte durch den leuchtenden Käfig. Mac rappelte sich wieder auf. Dass seine Mutter es gewagt hatte, ihn anzugreifen, war Artemis unverständlich.
»Die Vergehen der Hexe sind bekannt. Welche Strafe wollen wir verhängen?«, fragte Niniane mit lauter Stimme.
»Mutter, Schluss damit«, knurrte Mac.
»Wir stimmen ab, Manannán«, erwiderte Niniane. »Du kannst den Rat nicht davon abhalten, sein Urteil zu fällen. Als Königin gebe ich meine Stimme als Erste ab.« Sie legte eine Pause ein. »Tod.«
»Mutter …«
»Tod«, erklang eine zweite Stimme.
Götter! Das durfte doch alles nicht wahr sein.
»Tod.«
»Tod.«
»Tod.«
»Tod.«
»Tod.«
»Nein!«
Mac betrachtete die Sidhe erbost. »Nein, das erlaube ich nicht.«
»Mac!«, fuhr Niniane ihn scharf an. »Der Rat hat gesprochen.«
»Das interessiert mich einen feuchten Dreck. Ich habe gleich zu Prozessbeginn klargemacht, dass ich in diesem Fall keine Todesstrafe dulden werde.«
Niniane sah ihn an, als wäre er ein anstrengendes Kind. »Mac, diese Hexe ist eine Gefahr für unsere Art. Das weißt du genauso gut wie ich. Ihre Verbrechen sind bewiesen, und sie zeigt keinerlei Reue. Ihre Macht ist so groß, wie ich es bisher bei keinem Menschen gefühlt habe. Und falls dir das noch nicht reicht, sie ist auch noch dämonisch! Wenn sie nicht exekutiert wird, setzt sie ihre Magie wahrscheinlich wieder zum Schaden anderer ein.« Sie breitete die Hände aus. »Willst du das leugnen?«
»Nein«, sagte Mac angespannt. »Aber die Todesstrafe ist unnötig, um ihre Besserung herbeizuführen. Sie ihrer magischen Kräfte zu berauben wird vollkommen ausreichen.«
Artemis hatte das Gefühl, Mac hätte ihr soeben einen Fausthieb in den Magen verpasst. »Nein«, hauchte sie. »Mac, nicht! Du darfst sie nicht …«
Als er sich zu ihr umdrehte, spiegelte sich ihr Schmerz in seinen Augen. »Artemis, du hast deine Schuld vor dem Rat gestanden. Die Ältesten haben die Lebensessenz gesehen, die du gehortet hast. Wie kannst du glauben, du würdest hier ungestraft wieder rauskommen?«
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